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Weiter auf der Barrikade. Ein Demonstrant harrt am Mittwoch in Kiew aus.

© dpa

Ukraine: Hängepartie in Kiew

In der Ukraine gibt es keine Einigung über eine Amnestie für die Demonstranten – und Putin legt weitere Milliardenhilfen auf Eis.

Nach dem Rücktritt der Regierung hat das ukrainische Parlament am Mittwoch über weitere Zugeständnisse an die Opposition beraten. Allerdings schaffte es das Parlament auch am zweiten Sitzungstag nicht, sich auf ein Amnestiegesetz für sämtliche verhaftete Demonstranten zu einigen. Über das Gesetz entscheidet in erster Line die „Partei der Regionen“, die dem Präsidenten Viktor Janukowitsch treu verbunden ist. Am Mittwochabend verließ Julia Timoschenkos oppositionelle Vaterlandspartei entnervt das Parlament. „Unsere politischen Widersacher wollen, dass das Gesetz erst in Kraft tritt, wenn der Maidan und sämtliche Regierungsgebäude geräumt werden“, sagte der Oppositionspolitiker Arseni Jatzenjuk von der Vaterlandspartei. „Diese Vorbedingung ist für uns nicht akzeptabel“, betonte er.

Bereits am Vormittag hielt die vom Staatspräsidenten kontrollierte Regierungsfraktion eine Überraschung bereit. Der am Vortag zurückgetretene und von Staatschef Janukowitsch weiter mit der vorübergehenden Amtsführung betraute Regierungschef Mykola Asarow übergab sein Amt an seinen jungen Stellvertreter Serhij Arbusow. Der 1976 in Janukowitschs ostukrainischer Heimatstadt Donetzk geborene ehemalige Nationalbankchef war vom Präsidenten erst im Dezember 2012 zum Vizepremier ernannt worden. Der ausgebildete Ökonom und spätere Banker hatte sich häufig zu den EU-Assoziationsverhandlungen in Brüssel aufgehalten und dort im Sommer vergangenen Jahres auch eine jener ukrainischen Lobby-Stiftungen gegründet, die die Presse mit angeblich objektiven Expertenmeinungen versorgten.

Janukowitsch hatte der Opposition am Sonntag eine reguläre Regierungsbildung innerhalb einer Woche versprochen. Da die Opposition in Janukowitschs Angebot einer Regierungsbeteiligung eine Falle wittert, ist es gut möglich, dass Arbusow nicht nur übergangsweise mit der Amtsführung betraut wird. Sollte sich die Opposition auch in Zukunft nicht auf eine Regierungsbeteiligung einlassen, könnte Arbusow auch regulärer Regierungschef werden. Präsidentenberaterin Anna German hatte am Montag einem polnischen Privatsender gesagt, sie wünsche sich einen wesentlich jüngeren Regierungschef als Asarow, der die Gesellschaft besser verstehen würde. Viele Demonstranten sind nicht wie Asarow und Janukowitsch in der Sowjetunion, sondern wie Arbusow vor allem in der unabhängigen Ukraine aufgewachsen. Arbusow entstammt wie Janukowitsch dem so genannten „Donetzker Clan“, die aus der Familie und befreundeten Geschäftsleuten des Präsidenten besteht.

Oppositionsführer Vitali Klitschko lehnte die Forderungen der Regierungspartei ab, die Barrikaden zu räumen: „Wir können den Menschen nicht einfach sagen, ’Ihr habt eure Aufgabe erfüllt, geht nach Hause’.“

Unterdessen erklärte Russlands Vizepremier Igor Schuwalow gleich nach dem Russland-EU-Gipfel am Dienstagabend in Brüssel, dass Moskau der Ukraine auch in Zukunft finanziell helfen werde. Allerdings betonte Schuwalow, dass dies an Bedingungen geknüpft sei. Kiew müsse die bilaterale Wirtschaftskooperation – vor allem die mit der russischen Industrie – fortsetzen und die begonnenen Strukturreformen zu Ende führen, erklärte Schuwalow. Sollte das neue Kabinett von dieser Agenda abweichen, könnte Russland die dazu getroffenen Vereinbarungen revidieren oder gar einfrieren.

Eine kaum verhüllte Drohung sprach am Mittwoch auch Kremlchef Wladimir Putin aus. „Lassen wir uns Zeit, bis die neue Regierung in der Ukraine steht“, sagte er bei einem Treffen mit Regierungschef Dmitri Medwedew mit Blick auf weitere mögliche Milliardenhilfen für Kiew. Der russische Staatschef unterstrich, dass Moskau von den in Aussicht gestellten 15 Milliarden US-Dollar bereits drei Milliarden US-Dollar nach Kiew überwiesen habe und seine Zusagen einhalten wolle. Medwedew sagte, die Umsetzung müsse aber „bedacht“ erfolgen. Während die EU die Ukraine Richtung Europa führen will, arbeitet Moskau an einer Zollunion mit Kiew.

Die deutschen Unternehmen, die in der Region tätig sind, setzen darauf, dass Russland künftig weiter in die Verhandlungen zwischen Brüssel und Kiew einbezogen wird. „Wirtschaftlich hat eine Spaltung Europas in verschiedene Freihandelszonen auf Dauer keinen Sinn. Wir müssen stärker mit Russland und der Zollunion über eine gemeinsame Wirtschaftsarchitektur sprechen“, sagte der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Eckhard Cordes, in Berlin. In Russland sind seiner Organisation zufolge derzeit 6100 deutsche Unternehmen aktiv, in der Ukraine etwa 500 bis 600. Die unklare politische Lage habe bereits dazu geführt, dass vor allem Banken ihre örtlichen Niederlassungen in der Ukraine aufgegeben haben – darunter eine Tochter der Commerzbank.

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