zum Hauptinhalt
Update

Ukraine-Konflikt: Die Diplomatie (in) der Krise

Beim Ukraine-Konflikt scheint sich die Diplomatie im Kreise zu drehen. Welche Optionen gibt es noch für eine Beilegung der Krise?

Die Einladung in den Kreml war am Dienstag völlig überraschend gekommen: Ein Treffen mit Wladimir Putin stand eigentlich nicht auf dem Programm des deutschen Außenministers Frank- Walter Steinmeier in Moskau. Abgesehen von den Chefdiplomaten der USA und Chinas redet Russlands Präsident sonst so gut wie ausschließlich nur mit Ebenbürtigen: nämlich mit Staats- und Regierungschefs.

Der nächtliche Meinungsaustausch sei „ernsthaft und offen“ gewesen, hieß es in Delegationskreisen beider Seiten. Es sei dabei um Wege aus der Ukraine-Krise gegangen, die „neue Perspektiven der Kooperation eröffnen könnten“. Darüber hatte Steinmeier zuvor schon mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow beraten.

Eine Annäherung im Ukraine-Konflikt brachte das 75-minütige Gespräch von Steinmeier und Putin dann allerdings nicht. Zu den Ereignissen der vergangenen acht Monate – gemeint ist der Konflikt in der Ukraine – gebe es gravierend unterschiedliche Wahrnehmungen, sagte Steinmeier am Mittwoch. „Das Vertrauen zu Russland ist nachhaltig gestört“, betonte der Außenminister beim Deutsch-Polnischen Forum in Berlin. Er setzte sich für einen zweigleisigen Umgang mit Russland ein: Man müsse offen sein für den Dialog und dennoch seine Überzeugungen bewahren.

Spielt Putin den Außenminister gegen die Kanzlerin aus?

Steinmeier dürfe sich von Putin „nicht einspannen lassen“, die Koalition sich nicht über ihren Kurs gegenüber Russland zerstreiten, warnte am Mittwoch der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff. Tatsächlich war bei manchen Beobachtern der Eindruck entstanden, im Umgang mit Russland gebe es erstmals Unterschiede zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Steinmeier.

Hintergrund für solche Annahmen waren Berichte über eine neue, scharfe Tonlage der Kanzlerin gegenüber Moskau bei einer Rede am Rande des G-20-Gipfels am Wochenende in Australien, während Steinmeier tags darauf am Montag in Brüssel eine zurückhaltende Rhetorik anmahnte.

Allerdings weisen Regierungskreise darauf hin, dass Merkels Rede vor einem australischen Thinktank gar keine neuen Elemente enthalten habe, sie habe allenfalls in der anschließenden Diskussion einen etwas schärferen Ton als bislang angeschlagen. Sowohl im Kanzleramt als auch im Auswärtigen Amt wird versichert, Merkel und Steinmeier handelten wie seit Beginn der Ukraine-Krise weiterhin sehr eng abgestimmt, es gebe keine Meinungsverschiedenheiten und auch keine Rollenteilung, wonach sie für die harten und er für die eher versöhnlichen Botschaften an Moskau zuständig sei. So habe die Bundeskanzlerin auch ausdrücklich befürwortet, dass der Außenminister in Moskau die überraschende Einladung Putins annahm, weil jeder Kanal und Kontakt genutzt werden müsse.

Wie reagiert die SPD auf Matthias Platzecks Forderung nach der Legalisierung der Annexion der Krim durch Russland?

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Niels Annen, wies Platzecks Vorschlag zurück. Gernot Erler, der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, schlug einen milden Ton an, kritisierte den Ex-SPD-Chef aber ebenfalls in der Sache deutlich. Es hätte „an die erste Stelle gehört“, deutlich zu machen, dass die Annexion Unrecht sei, sagte Erler dem MDR. Man müsse nun den Druck auf Russland aufrechterhalten, weil Russland im Minsker Abkommen zwar in zwölf Punkten deeskalierendes Verhalten versprochen, aber im Gegensatz zur ukrainischen Seite „nichts umgesetzt“ habe. Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, kritisierte Platzeck scharf. Würde man dessen Legalisierungs-Vorschlag folgen, so wäre dies „die Bankrott-Erklärung des Westens und der EU“, sagte er dem Deutschlandfunk: „Wir können nicht einen Vertrag zulasten Dritter abschließen.“ Steinmeier selbst betonte am Mittwoch, Deutschland werde die Annexion der Krim durch Russland nicht hinnehmen. Sie sei eine klare Verletzung des Völkerrechts.

Platzeck selbst versucht indes am Mittwoch, seine Äußerung zur Krim zu korrigieren. Er fordere keine Anerkennung der völkerrechtswidrigen Annexion, sagte der Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums am Mittwoch. Das Problem müsse zwischen Moskau und Kiew verhandelt werden. Nur so könnten Blockaden aufgelöst werden. Nötig seien höchstwahrscheinlich ein neues Referendum unter Aufsicht der OSZE und finanzielle Leistungen, hatte er erklärt.

Was fordert Russland von der internationalen Gemeinschaft?

An die internationale Gemeinschaft richtet Moskau nun selbst für russische Verhältnisse ungewöhnlich deutliche Forderungen: „Wir wollen eine hundertprozentige Garantie hören, dass niemand an einen Nato-Beitritt der Ukraine denkt“, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow der BBC. „Aber wir haben das nicht gehört. Das macht uns nervös, das macht uns Angst.“ Wer aber Angst verspüre, ergreife Vorsichtsmaßnahmen. „Je länger unsere nationalen Interessen in Gefahr sind, desto länger werden wir weiterhin antworten.“ 

Am Mittwochabend wies die Nato die russischen Forderungen zurück. Diese seien realitätsfremd und stünden nicht im Einklang mit internationalen Vereinbarungen, die auch Russland unterzeichnet habe, teilte eine Sprecherin des westlichen Verteidigungsbündnisses am Mittwochabend in Brüssel mit. Moskau habe darin anerkannt, dass jeder Staat frei über Sicherheitsabkommen entscheiden dürfe und müsse die Souveränität der Ukraine respektieren.

Putin selbst verschärfte gleichzeitig den Ton gegenüber den USA und ließ erkennen, dass er den Ukraine-Konflikt letztlich als eine geopolitische Auseinandersetzung zwischen Moskau und Washington betrachtet: „Amerika will uns nicht erniedrigen, sondern unterwerfen“, sagte der russische Präsident vor der „Allrussischen Volksfront“, in der seine Anhänger organisiert sind. „Niemals in der Geschichte ist das jemandem gelungen, und es wird nie jemandem gelingen.“

Putin mahnte die USA, sich nicht in die inneren Angelegenheiten Russlands einzumischen. Russland sei bereit, mit den USA auf der Grundlage der Gleichberechtigung und der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten zusammenzuarbeiten, betonte der Präsident, als der neue US-Botschafter in Russland, John Tefft, am Mittwoch im Kreml sein Beglaubigungsschreiben überreichte. Beide Länder trügen eine besondere Verantwortung für internationale Sicherheit, Stabilität und Abwehr globaler Herausforderungen.

Welche Chancen gibt es für ein Einlenken Russlands in der Ukraine-Frage?

Der russische Außenminister Sergej Lawrow forderte von der Regierung in Kiew erneut direkte Verhandlungen mit den Separatisten. Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk lehnte dies jedoch am Mittwoch ab. Russland müsse aufhören, „Spielchen zu spielen“ mit dem Ziel, den Separatisten eine Legitimität zu verschaffen. Zugleich mahnte er Russland, sich an das Minsker Abkommen zu halten. Die Ukraine spricht sich für Verhandlungen mit Russland aus, um den Konflikt im Osten des Landes zu lösen. Doch die russische Führung argumentiert seit Beginn der Krise, dass Russland gar keine Konfliktpartei sei. Zwar kämpfen russische Soldaten in der Ostukraine, und Waffen, schweres Gerät und offenbar sogar Panzer kommen aus Russland über die Grenze, aber Moskau streitet eine direkte Beteiligung an der militärischen Auseinandersetzung ab.

Die Ukraine wünscht sich Gespräche mit Russland im sogenannten „Genfer Format“ – auch die EU und die USA würden dann mit am Tisch sitzen.Doch Lawrow konterte am Mittwoch, einen Tag nach seinem Treffen mit Steinmeier, dass er keinen Bedarf für eine Beteiligung der USA und der EU sehe. Der einzig praktikable Lösungsweg seien Gespräche zwischen der Ukraine und den Aufständischen innerhalb der sogenannten Kontaktgruppe. An dieser Gruppe sind neben der Ukraine und den Separatisten auch Russland und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) beteiligt.

Da sich die Konfliktparteien derzeit nicht einmal auf das Format der Gespräche einigen könnten, gilt eine weitergehende Einigung oder gar ein Einlenken Russlands zum jetzigen Zeitpunkt als sehr unwahrscheinlich.

Kann die Vereinbarung von Minsk zur Waffenruhe überhaupt noch eine Verhandlungsgrundlage sein?

Sowohl Russland als auch die Ukraine werfen einander vor, das Minsker Protokoll über eine Waffenruhe nicht einzuhalten. Das in der weißrussischen Hauptstadt vereinbarte Dokument, das Vertreter der Ukraine, Russlands und der OSZE am 5. September dieses Jahres unterzeichneten, sieht neben der eigentlichen Waffenruhe auch vor, „rechtswidrige militärische Verbände“, Kämpfer und Waffen vom Territorium der Ukraine zu entfernen. Doch in den vergangenen Wochen verzeichneten Beobachter, dass sogar noch mehr schweres Gerät und offenbar auch Truppen aus Russland in die Ukraine gelangten.

Die Regierung in Kiew wiederum hat bisher nichts getan, um die von Menschenrechtsorganisationen kritisierten Freiwilligenbataillone zu entwaffnen und nach Hause zu schicken. Das Protokoll von Minsk müsste also zunächst einmal ganz umgesetzt werden. Auch Bundesaußenminister Steinmeier sagte nach seinem Gespräch mit Putin, jenseits der öffentlichen Debatten müsse nun ein Punkt gefunden werden, um wieder in die Umsetzung der Vereinbarung von Minsk einzusteigen. mit apz/cvm

Zur Startseite