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Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks bauen in Neuenstadt am Kocher (Baden-Württemberg) ein Zeltlager als Notunterkunft für 200 Flüchtlinge auf dem Gelände einer ehemaligen Autobahnmeisterei auf.

© Michael Latz/dpa

Umgang mit Flüchtlingen: Zeltstädte und andere Provisorien

Viele Kommunen fühlen sich überfordert, eine immer größere Zahl von Asylsuchenden unterzubringen. Und die Spannungen in vielen Gemeinden nehmen zu. Die Politik sucht nach Lösungen.

Angesichts eines immer größeren Zustroms von Asylsuchenden sehen manche Kommunen keinen anderen Ausweg, als Flüchtlinge in rasch errichteten Zeltstädten unterzubringen. Für das Deutsche Rote Kreuz (DRK) ist das ein schwer erträglicher Zustand. DRK-Präsident Rudolf Seiters sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ Zeltstädte könnten "nur eine zeitlich befristete Notlösung sein“. Spätestens im Oktober sei wegen der Witterung eine Unterbringung in Zelten nicht mehr möglich. Der frühere Bundesinnenminister appellierte an die Behörden, für feste Wohnunterkünfte mit Mindeststandards zu sorgen.

Der DRK-Präsident zeigte sich entsetzt über Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und Helfer. „Das ist beschämend für unser Land“, sagte Seiters. Aber gleichzeitig erlebten die Helfer des Roten Kreuzes auch eine große Welle der Hilfsbereitschaft.

Wegen der zunehmenden Angriffe gegen Asylbewerberheime hatte die Deutsche Polizeigewerkschaft Bannmeilen um Flüchtlingsheime gefordert. Damit sollten Asylbewerber besser vor gewaltbereiten Demonstranten geschützt werden. Diesen Vorschlag lehnte Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) ab. Er sehe keinen Anlass für generelle Demonstrationsverbote vor Asylbewerberheimen. Zum Schutz ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer könnte ein solcher Schritt zwar notwendig sein, sagte Stahlknecht der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Das müsse jedoch im Einzelfall geprüft werden und immer die Ultima Ratio bleiben. „Mit generellen Bannmeilen kann ich mich nicht anfreunden.“

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) forderte ein koordiniertes Vorgehen von Bund, Ländern und Kommunen. „Wir brauchen auf Bundesebene eine Task-Force von Bund, Ländern und Kommunen, die die Arbeit aller Akteure koordiniert und schnell reagieren kann“, sagte Dreyer der „Bild“-Zeitung.

Bundesamt für Migration: Mehr sichere Herkunftsstaaten

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hält es unterdessen für richtig, neben Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien weitere Westbalkanstaaten zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Das sagte eine Sprecherin der in Halle erscheinenden „Mitteldeutschen Zeitung“. „Von Dezember 2014 bis Juni 2015 - also in den Monaten nach der Einstufung von Serbien, Bosnien und Herzegowina und Mazedonien als sichere Herkunftsstaaten - sank zwar nur die Zahl der Asylanträge aus Bosnien und Herzegowina gegenüber Januar bis November 2014 im monatlichen Durchschnitt um 2,3 Prozent, während sie für alle drei Staaten zusammen um etwa 23 Prozent anstieg“, erklärte die Sprecherin, fügte aber hinzu: „Demgegenüber stieg die Zahl der Asylanträge aus Albanien, Kosovo und Montenegro ungebremst um 515 Prozent.“ Der Effekt sei deshalb dämpfend.

Baden-Württemberg will deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen

In Baden-Württemberg wird die grün-rote Landesregierung die Flüchtlingskapazitäten stark erhöhen. Bis zum Jahresende sollen bei der Erstaufnahme knapp 6.000 zusätzliche Plätze entstehen, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nach dem zweiten Flüchtlingsgipfel der Landesregierung am Montag. Im kommenden Jahr sollen die Kapazitäten um weitere 5.000 Plätze steigen. Rund 70 Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Kirchen und Gesellschaft hatten mehr als fünf Stunden lang darüber diskutiert, wie auf die Herausforderung steigender Flüchtlingszahlen besser reagiert werden kann. Das Land muss Prognosen zufolge in diesem Jahr zwischen 52.000 und 80.000 neue Asylbewerber aufnehmen.

Kretschmann wies darauf hin, dass der Südwesten schon heute 25 Prozent der bundesweiten Aufnahmekapazitäten bereitstelle, obwohl die vom Bund geforderte Aufnahmequote nur bei 13 Prozent liege. Zugleich kritisierte der Ministerpräsident, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erst jetzt seine Mitarbeiterzahl erhöhe, obwohl das die Ministerpräsidentenkonferenz schon im vergangenen September gefordert habe.

Die Verfahrensdauer müsse von jetzt knapp sieben Monaten auf drei Monate verkürzt werden, forderte Kretschmann. Abgelehnte Asylbewerber, die sich ihrer Rückführung entziehen, müssten mit Leistungskürzungen und Beschäftigungsverboten belegt werden. Gleichzeitig sollten Menschen aus Bürgerkriegsgebieten beschleunigt anerkannt werden.

Die Bundespolizeidirektion Stuttgart wies unterdessen auf eine massive Zunahme illegaler Einreisen im Südwesten hin. Seien 2012 noch 1.534 solcher Fälle registriert worden, habe es im ersten Halbjahr 2015 bereits 4.503 gegeben. Die meisten erfassten Personen stammten aus dem Kosovo, Gambia und Syrien.

Städtetag: Aufnahmekapazitäten noch nicht ausgeschöpft

Nach Ansicht des Städtetags sind die Kapazitäten für die Aufnahme von Asylbewerbern in Deutschland noch nicht ausgeschöpft. „Es wird vor Ort immer schwieriger, die Provisorien werden häufiger, aber einen Kollaps sehe ich nicht auf uns zukommen“, sagte Städtetags-Geschäftsführer Stephan Articus der „Passauer Neuen Presse“. Die Kommunen seien weiterhin bereit, Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten sowie politisch Verfolgte aufzunehmen. Articus sprach sich zugleich für mehr finanzielle Hilfen des Bundes aus. Die Unterstützung müsse möglichst bald konkretisiert werden, „damit die Kommunen stärker entlastet werden“.

Articus rief die Länder auf, die Kostenerstattung an die Kommunen für Aufnahme und Versorgung von Asylbewerbern bundesweit zu vereinheitlichen. Es gebe immer noch Länder, die Städten und Gemeinden nicht einmal die Hälfte der Ausgaben ausglichen. Der Städtetags-Geschäftsführer stellte sich hinter den Vorschlag von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD), der Bund solle an die Länder statt fester Beträge eine Pro-Kopf-Pauschale für Flüchtlinge zahlen. Die Zahl der Asylanträge in Deutschland könnte in diesem Jahr laut Schätzungen auf rund 450.000 steigen - das sind doppelt so viele wie 2014. (dpa/KNA)

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