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Warten auf sichere Flucht: Eingeschlossene in Aleppo.

© dpa

Umgang mit Russland: Gegenhalten, durchhalten

Wir Deutsche sind mitschuldig am Sterben in Aleppo. Wir haben die Opfer nicht militärisch geschützt. Man kann die Täter aber vor Gericht stellen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Den Toten gilt unser Entsetzen und Wehklagen. Die Lebenden hatten, als sie noch zu retten waren, vergebens auf unsere Solidarität gewartet. So wie heute in Aleppo war es vor zwanzig Jahren in der Stadt Srebrenica, als serbische Soldaten 8000 bosnische Männer und Jugendliche hinrichteten – unter den Augen niederländischer UN-Soldaten. In Aleppo sind Zehntausende in syrisch-russischen Bombenangriffen auf Wohnungen und Krankenhäuser gestorben. Wer mag da an sicheren Abzug für die Eingeschlossenen glauben? Abermals schaut die Welt bei Kriegsverbrechen zu.

Die generelle Frage: Was tun gegen Putin und Assad?

Aleppo steht aber auch für die generelle Herausforderung der EU: Wie umgehen mit Wladimir Putin? Er hat die Ukraine angegriffen und versucht, die US-Wahl zu manipulieren. Seine Hacker sammeln Munition für die Bundestagswahl. In dieser Kette ist Aleppo das krasseste Beispiel für seine Verbrechen. Und für unsere Schande.

Nun fragen viele: Hätte „man“ das verhindern können, und was lernt „man“ daraus für die Zukunft? Das klingt nach Ausrede. Wer ist „man“? Amerikaner, Briten, Franzosen, Deutsche hätten handeln können – durch rechtzeitige Militärintervention gegen Syriens Diktator Assad. Präsident Barack Obama zögerte. Er hatte den Wählern nach den Kriegen in Afghanistan und im Irak Zurückhaltung versprochen. Ein erneutes Eingreifen in einem muslimischen Land werde kein gutes Ende nehmen. Sein Hin und Her – „rote Linien“ erklären, aber nichts tun, wenn sie überschritten werden – hat das Bild westlicher Machtlosigkeit verschärft.

Eine Kette von Ausflüchten, von Obama bis zu uns

Der Vorwurf gilt freilich ebenso uns Deutschen, sonst ist es Ausrede Nr. 2. Wer nach US-Intervention ruft, sollte konsequenterweise deutsche Beteiligung fordern. Die „responsibility to protect“, die Völkerrechtler neuerdings anmahnen (die Pflicht zu schützen, wenn Diktatoren ihre Bürger ermorden), geht alle an. Was zu Ausrede Nr. 3 führt. Die Deutschen hätten dann ein Mandat der Vereinten Nationen verlangt – und die Russen hätten es per Veto verhindert. Aber ohne darf man nichts tun. Oder?

Putin war mal wieder schneller. Seit sein Militär in Syrien für Assad kämpft, heißt es: Wir wollen doch keinen Konflikt mit Russland riskieren!

Bescheidene Antwort: Salzgitter und Kriegsverbrechertribunal

Müssen wir Bürger also tatenlos zusehen bei Kriegsverbrechen? Nein. Auch wer die Gründe akzeptiert, warum der Westen nicht militärisch antwortet, hat Alternativen. Sie heißen Salzgitter und Kriegsverbrechertribunal. Die Welt kann den Tätern sagen: Wir vergessen eure Verbrechen nicht. Die DDR-Offiziellen wussten vom Dokumentationszentrum für DDR-Verbrechen in Salzgitter und vom Risiko, eines Tages vor Gericht gestellt zu werden. Das UN-Kriegsverbrechertribunal hat mehrere Schuldige von Srebrenica verurteilt. Das sollten wir auch den russischen und syrischen Tätern in Aleppo androhen: Wir dokumentieren, wer mordet und wer die Befehle für die verbrecherischen Luftangriffe gab. Ihr kommt irgendwann vor Gericht.

Das klingt entmutigend. Viel mehr bleibt aber nicht, wenn man die militärische Konfrontation mit den Assads und Putins scheut. Glaubwürdig ist es auch nur, wenn der Westen einen langen Atem zeigt und keine vorschnelle Sehnsucht nach Vergessen. Manche wollen bereits gut zwei Jahre nach Putins Angriff auf die Ukraine die Sanktionen wieder kassieren. So kann die Abschreckung der Kriegsverbrecher nicht funktionieren.

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