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Umsturz in Ägypten: Ein Tag nach dem Putsch

Auf dem Tahrir-Platz in Kairo hatten sich am Mittwochabend Hunderttausende versammelt, um auf die erlösende Rede von Armeechef Abdel Fattah al-Sisi zu warten. Heute fegen Müllmänner die Reste der patriotischen Superparty zusammen.

Kairo vibriert, Ägypten sonnt sich wieder als Paradies der guten Laune. An jeder Ecke ist die Erleichterung mit Händen zu greifen. „Mursi – das war’s“, den Daumen runter und ein grinsendes, einvernehmliches Nicken. Egal ob Obsthändler, Zeitungsverkäufer, Taxifahrer oder Parkwächter - jeder vermittelt am Tag danach den Eindruck, das Volk Ägyptens habe sich mit viertägigen Massenprotesten von einer jahrzehntelangen, düsteren Diktator befreit. Stundenlang hatten Mittwochabend Hunderttausende auf dem Tahrir-Platz auf die erlösende Rede von Armeechef Abdel Fattah al-Sisi gewartet. Als der 58-jährige General schließlich vier Stunden nach Ende seines Ultimatums um exakt 21 Uhr vor die Kameras trat und seinem Landsleuten mit fester Stimme und in acht Minuten verlas, wohin die Reise geht, fiel der weltberühmte Kreisverkehr für einem Moment in eine nahezu atemlose Stille.

Nicht dass Ägypter plötzlich in der Lage wären - wie ihre türkischen Mitstreiter gegen islamistische Dominanz - stundenlang in schweigendem Protest zu verharren. Und kaum hatte der Oberbefehlshaber hinter dem Pult und in kurzärmeligem Hemd geendet, entluden sich Vuvuzelas, Trillerpfeiffen, Autohupen und Sprechchöre in einem stundenlangen Massenrausch. Die Straßen in den Wohnvierteln hallten wieder von Freudenschüssen, manch einer geriet so in Verzückung, dass er von seinem Balkon aus direkt ein ganzes Magazin in den nächtlichen Himmel jagte. „Es war ein Festival, wir sind so überglücklich, wir haben uns die Revolution zurückerkämpft“, schwärmt Alfred Adly Youman, der die ganze Nacht dabei war und auch am nächsten Tag noch immer kein Auge zutun kann. Mit etwas Wasser ins Gesicht habe er die Müdigkeit vertrieben, sagt er, und jetzt gehe es weiter. Keine Minute will er verpassen. „Ein Jahr lang war mein Leben dumpf und dunkel, weil Mursi den Christen ihre Rechte verweigert“, sagt der 62-jährige, der in Giza ein kleines Fotostudio besitzt.

Über den Tahrir-Kreisverkehr dröhnen derweil patriotische Lieder, kein Militärfahrzeug ist weit und breit zu sehen. Stattdessen fegen Heerscharen von Müllmännern die Reste der patriotischen Superparty zusammen. Die meisten Geschäfte sind noch verrammelt, nur die Taxifahrer bahnen sich bereits wieder erste Schneisen durch vier Tage lang total blockierten Platz. Die meisten aus der Jubelmenge aber sind irgendwann am frühen Morgen nach Hause gegangen und ins Bett. Nur das Frauenareal vor der Rednertribüne, von Helfern mit einem dicken Seil abgesperrt, erinnert daran, dass während der fröhlichen Megaproteste über hundert Frauen übel misshandelt, sexuell missbraucht und vergewaltigt wurden.

Sayyed Ahmed Abdel Ali hat sich einen Modellpanzer auf den Kopf geschnallt in der linken Hand hält er ein Kreuz, in der rechten einen Koran – die neue Dreifaltigkeit Ägyptens. „Muslime, Christen und Armee gehen Hand in Hand“, ruft er aus, während über den Köpfen zur Unterhaltung der übrig gebliebenen Rebellen ein Formationsflug der ägyptischen Luftwaffe hinwegdonnert, Rauch in den rot-weiß-schwarzen Nationalfarben hinter sich herziehend.

Mansour Elleithy hat für solche Spektakel nur ein müdes Schulterzucken übrig. Zusammen mit zwei Dutzend Mit-Professoren hält der 51-jährige Dozent für Physiotherapie seit vier Tagen auf dem Ennahda-Platz vor der Kairo Universität die Stellung. Die Zugänge zu dem Gelände der Muslimbrüder direkt neben dem Zoo sind seit dem Vorabend durch Mannschaftstransporter und Jeeps abgeriegelt. Eine verbrannte Palme liegt quer über dem Asphalt. Zertrümmerte Werbetafeln zeugen noch von den schweren Ausschreitungen vor zwei Tagen, als sich Bewaffnete durch den angrenzenden botanischen Garten anschlichen und das Mursi-Camp mitten in Kairo mit Sturmgewehren unter Feuer nahmen. 18 Menschen starben, über 200 wurden verletzt, den Überlebenden steht der Schock noch in den Gesichtern.

Säuberlich haben sie jetzt in langen Reihen Vorräte an Wurfsteinen aufgehäuft. Fast jeder zweite hat neben sich einen Knüppel griffbereit. „Die Armee hat die Demokratie zerstört. Wir demonstrieren friedlich und werden bis zum Ende friedlich bleiben“, sagt Mansour Elleithy, während um ihn und seine Kollegen herum ein kleiner Protestzug im Kreise zieht und „Mursi, wir stehen hinter dir“ skandiert. Alle hier wissen, dass der abgesetzte Präsident und Dutzende aus der Führungsriege der Muslimbruderschaft bereits verhaftet worden sind, der eigene Fernsehkanal abgeschaltet ist. „Wir haben keine Angst, Gefängnisse sind nichts Neues für uns“, sagen sie. Derweil jubeln draußen, jenseits der Militärbarrikaden Autofahrer demonstrativ hupend den Panzern und Soldaten zu. An den Zapfsäulen vor den Tankstellen jedoch beginnen sich bereits wieder neue Warteschlangen zu bilden.

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