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Umweltorganisation wird 30: "Greenpeace ist extrem zentralistisch organisiert"

Greenpeace Deutschland wird 30 Jahre alt. Im Interview mit Tagesspiegel.de erläutert der Soziologe Dieter Rucht, wie sich die Organisation verändert hat und warum Nichtregierungsorganisationen gebraucht werden.

Herr Rucht, brauchen wir Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace heute noch? Wir haben doch auch eine Partei wie die Grünen, die sich mit dem Thema Umwelt auseinandersetzen.

Ja, wir brauchen sie definitiv noch. Sie sind wichtig, weil sie wenig Rücksicht nehmen müssen auf Machterwerb, Parteipolitik und Wahlkämpfe. Sie können ihre Ziele ohne Kompromisszwänge verfolgen. Parteien müssen darauf achten, Mehrheiten zu bekommen und müssen deswegen auch auf die Interessen anderer eingehen.

Was zeichnet Greenpeace aus – im Gegensatz zu anderen Nichtregierungsorganisationen im Bereich Umwelt?

Greenpeace war von Anfang sehr professionell und hat öffentlichkeitswirksame Kampagnen gestartet. Sie haben werbeträchtige Themen und Darstellungsformen gewählt. Dazu gehörte die Rettung von Seehundebabys. Das war ökologisch ein Randthema. Aber damit konnten sie die Aufmerksamkeit der Medien und Spenden des Publikums gewinnen. Für andere vom Aussterben bedrohte Tiergattungen, Schlangenarten zum Beispiel, hat sich Greenpeace nicht eingesetzt. Und auch von komplexeren Feldern haben sie eher die Finger gelassen, also dann, wenn man die Welt nicht einfach in Gut und Böse einteilen konnte.

Im Vergleich zur Anfangszeit ist Greenpeace heutzutage aber nicht mehr so stark in den Medien präsent.

Greenpeace hat sich im Laufe seiner Existenz stark gewandelt. Anfangs waren die Aktionen spektakulär: Kleine, wackelige Schlauchboote gegen große Tanker. Zwei Aktivisten, die unerlaubt auf das Gelände eines Atomkraftwerks gehen und dort in luftiger Höhe ein Transparent entrollen. Das hat sich über die Jahre ein bisschen abgenutzt, das Medieninteresse ist zurückgegangen. Heute arbeitet Greenpeace teilweise anders: Sie bringen Studien zu Umweltthemen heraus und haben längst ein Büro in Brüssel, um dort Lobbyarbeit zu betreiben.

Und thematisch?

Insgesamt ist das Themenspektrum breiter geworden. Anfangs ging es vor allem um Atombombenversuche und die Müllverklappung in den Meeren. Immer mehr Themen kamen hinzu, die Gentechnik und die Qualität von Nahrungsmitteln, zum Beispiel.

Was würden sie Greenpeace für die kommenden 30 Jahre raten?

Greenpeace müsste endlich von der top-down Politik wegkommen. Greenpeace ist extrem zentralistisch organisiert. Es gibt zwar mehr als 550 000 zahlende Spender, aber nur etwa 30 Leute, die als formelle Mitglieder wirklich etwas zu sagen haben. Noch immer bestimmt die Zentrale, was gemacht werden soll. Die Aktiven in den Ortsgruppen sollten nicht nur Unterschriften sammeln und Broschüren verteilen dürfen. Sie sollten mehr Verantwortung übernehmen können, ohne dafür um Erlaubnis fragen zu müssen.

Dieter Rucht, 64 Jahre alt, arbeitet am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und ist Honorarprofessor für Soziologie an der Freien Universität. Seit Ende der 1970er Jahre beschäftigt er sich mit den Themen Umweltkonflikte und Umweltverbände und hat sich in diesem Rahmen auch mit Greenpeace auseinandergesetzt.

Das Gespräch führte Lissy Kaufmann.

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