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Politik: Umzug Bonn-Berlin: Die Regierung ist weg, heute geht auch der Bundesrat - aber Bonn blüht magentafarben

Immer wieder gerne erzählt Hans-Helmut Schild, Bonns Tourismusmanager, die Episode vom Besuch einer Reisemesse in Chicago. Da hatten ihn die amerikanischen Kollegen allen Ernstes auf die Unsinnigkeit seiner Werbeaktion hingewiesen, da doch jetzt in Bonn alles abgerissen werde.

Immer wieder gerne erzählt Hans-Helmut Schild, Bonns Tourismusmanager, die Episode vom Besuch einer Reisemesse in Chicago. Da hatten ihn die amerikanischen Kollegen allen Ernstes auf die Unsinnigkeit seiner Werbeaktion hingewiesen, da doch jetzt in Bonn alles abgerissen werde. Wie man es in den USA üblicherweise tut mit einer Western-Attrappe nach dem Film-Dreh.

Der Mann hat viel leiden müssen, seit Bonn des Status des Regierungssitzes eingebüßt hat. Da musste er also Leuten vom Fach erklären, dass Bonn am Rhein liegt. Aber abgerissen worden ist seit dem Parlamentsbeschluss von 1991 überhaupt nichts - bis heute jedenfalls. Den Akt der Zerstörung behält sich die Telekom vor. Deutschlands Branchenführer der Informationstechnologie wird das Adenauerhaus, die verlassene Bundeszentrale der CDU, niederlegen. Die Manager hatten, nachdem sie das Gebäude gekauft hatten, prüfen lassen, ob das Hochhaus für die Bedürfnisse von High-Tech geeignet sei. Der Befund war eindeutig: weg damit, neu bauen. Die drei Meter hohen CDU-Lettern hat bereits das benachbarte Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eingelagert.

Seit einem Jahr ist die einstige Bundeshauptstadt ohne Regierung, heute geht auch der Bundesrat, genauer gesagt absolviert er seine finale Sitzung. Darüber jammert niemand, schon gar nicht jammern die Bonner. Vielmehr herrscht ein Gefühl, als habe endlich jemand den Deckel über der Stadt gelüftet. Auf einmal entdeckt man: In Bonn haben nicht nur graue Ministeriale, sondern auch 300 000 Rheinländer gelebt.

Das vorgebliche Provinzkaff Bonn belächeln heute nur noch wenige. 2002 wird man schwindelnd zur Spitze der Post-AG-Zentrale aufschauen. 162 Meter wird das Monster messen, gebaut nach einem Entwurf von Helmut Jahn: der so genannte Jahn-Tower, höher als der Kölner Dom. Gebaut wird überall in der Stadt, in großem Stil. Der Schürmann-Bau, der einmal ein neues Abgeordnetenhaus werden sollte und nach dem Umzugsbeschluss vom Rhein überschwemmt wurde, trägt zurzeit seine Richtkrone. Er wird die Deutsche Welle beherbergen, die ihren Standort Köln aufgibt.

Wer in Bonn bauen will, braucht Geld. Es war ein Irrtum zu glauben, man könne in der leeren Stadt die Preise drücken. Der Immobilienmarkt ist nicht zusammengebrochen, im Gegenteil: Die Grundstückspreise nähern sich dem Niveau des noblen Düsseldorf. Wer in Bonn ein Büro sucht, muss sich auf die Warteliste setzen lassen.

Die Ursachen für den bemerkenswerten Boom, mit dem kaum einer gerechnet hat? Natürlich sind da jene 3,4 Milliarden Mark, welche die Bonner Region als Ausgleich für den Regierungsabzug einstecken konnte. Allerdings haben die Bonner mit diesem Geld auch nahezu optimal gewirtschaftet. Sie haben den Großteil in Wissenschaft und Forschung investiert. Der Bonner Raum hat mittlerweile etwa 400 wissenschaftliche und wissenschaftsnahe Einrichtungen, in Bonn gibt es nicht mehr nur die ehrwürdige Friedrich-Wilhelms-Universität, sondern seit kurzem drei neue Fachhochschulen.

Und da ist natürlich der Motor Deutsche Telekom, die mit ihren Töchtern unaufhörlich in der Stadt expandiert. Das zieht verwandte Firmen an. Die Industrie- und Handelskammer registriert derzeit etwa 600 Unternehmen aus der IT-Branche mit etwa 20 000 Mitarbeitern. Selbst im alten Regierungsviertel tut sich was. Staatliche und nichtstaatliche Organisationen sind gekommen; das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, das in Bonn geblieben ist, zieht ins verlassene Kanzleramt ein. Auch ein paar Unterorganisationen der Vereinten Nationen konnte die Bundesregierung herlocken, sie machen die Stadt am Rhein als Tagungsort interessant. Und so haben die Bonner eine letzte architektonische Hinterlassenschaft des Bundes als wertvolles Kongressgebäude entdeckt: den alten neuen Bundestag, der noch vor dem Umzug fertig wurde.

Das Jahr Null nach dem Abzug der Bundesorgane könnten die Bonner also locker nehmen. Wäre da nicht "die letzte Last, die wir stemmen müssen", sagt die sozialdemokratische Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann. Die Last ist, natürlich, die Kultur. Zwar hat die alte Bundeshauptstadt, die sich seit dem Umzug mit dem Titel "Bundesstadt" begnügen muss, mit Bundeskunsthalle, Kunstmuseum, Haus der Geschichte oder Deutschem Museum Bonn Hochkarätiges versammelt. Aber der Bund hat - aus repräsentativen Gründen - über die Jahrzehnte einen Musiktheater- und Schauspielapparat installiert, der nun in seine Einzelteile zu zerfallen droht.

Zuletzt hatte der Generalintendant Manfred Beilharz im Jahr 70 Millionen Mark zur Verfügung. Im Jahr 2003 ist Schluss damit, auch wenn immer noch ein Fünkchen Hoffnung glimmt, dass der Bund sich nicht aus der Verantwortung stiehlt für das von ihm gezeugte Kulturkind. "Die Alimente müssen weiter fließen", sagt Manfred Beilharz, der mit Herzblut das Bonner Theater führt. Beilharz ist ein ruhiger Mensch, immer ausgeglichen. Aber wenn es um die Zukunft der alten Hauptstadt geht, wirkt er ganz aufgewühlt. Er hat schon angekündigt: "Als Totengräber eines einstmals hauptstädtischen Kulturbetriebs stehe ich nicht zur Verfügung." Der Vertrag des Generalintendanten endet ebenfalls im Jahr 2003.

Günther Beyer

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