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Sie stimmten vor allem dafür, sich nicht öffentlich zu streiten: Die Grünen haben bei ihrem Parteitag in Hamburg Harmonie gelebt.

© dpa

Die Grünen zieht es zur Union: Unabhängigkeitserklärung von der SPD

Auf dem Parteitag in Hamburg wurde Jürgen Trittins Steuererhöhungs-Wahlkampf nicht thematisiert, Winfried Kretschmann gelobt und Streit vermieden. Die Grünen wollen sich der Union öffnen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan Haselberger

Für ihre Verhältnisse haben die Grünen in Hamburg einen harmonischen Parteitag hinter sich gebracht. Keine Abrechnung mit Winfried Kretschmann, dem wegen seiner Zustimmung zum Asylkompromiss angefeindeten Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Kein Scherbengericht über Cem Özdemir und Simone Peter, die beiden seit Monaten dilettierenden Parteivorsitzenden. Und keine Schlachten zwischen den Flügeln um den Kurs in der Wirtschaftspolitik oder die Frage nach Koalitionen. So viel Friedfertigkeit war selten. Und so wenig Spannung.

Über die Verfasstheit der einstigen Anti-Parteien-Partei sagt das einiges aus. Obwohl die Grünen nach der traumatischen Niederlage im Bund noch lange nicht Tritt gefasst haben, es also ausreichend Anlass für harte Auseinandersetzungen gibt, folgen sie bei der Aufarbeitung einer Ökonomie der Konflikte. Selbst für die einst widerspenstigen Parteitagsdelegierten gilt nun die übliche Kosten-Nutzenrechnung des Politikbetriebs, wonach Richtungsstreit ohne schnelle Ergebnisse mit schwindender Wählergunst bezahlt und deshalb vermieden werden muss.

Die Grünen wollen nicht mehr bevormunden

In Hamburg brachen die Grünen nach diesem Muster mit der Bevormundungsattitüde (Stichwort: Veggie Day) und stellten sich ihrer Verantwortung für den schändlichen Einfluss der Pädophilenbewegung auf die Partei in den 80er Jahren. Über den wohl gewichtigsten Grund für das Wahldebakel – den Steuererhöhungskurs des damaligen Spitzenkandidaten Jürgen Trittin – verloren sie dagegen kein Wort. Das Thema soll erst wieder debattiert werden, wenn ein neues, konsensfähiges Steuerkonzept vorliegt. Man kann das langweilig nennen oder angepasst – aber am Ende ist es vor allem pragmatisch.

Dass sich dieser Pragmatismus nicht auf bloßes innerparteiliches Konfliktmanagement beschränkt, sondern sich auch in der inhaltlichen und strategischen Ausrichtung niederschlägt, ist das eigentliche Signal dieses Parteitags. So stellte sich eine klare Mehrheit hinter das Ja von Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann zum Asylkompromiss – und gab damit konkreten Verbesserungen für Flüchtlinge den Vorzug vor der kompromisslosen Verteidigung hehrer Prinzipien. Gut möglich, dass der erste grüne Ministerpräsident seine Partei mehr verändern wird als jeder andere Grünen-Politiker nach Joschka Fischer.

Damit einhergehend beschlossen die Grünen in Hamburg auch eine Art Unabhängigkeitserklärung von der SPD. Rot-grüne Lagerwahlkämpfe dürften damit der Vergangenheit angehören. Auf diese Weise tragen die grünen Pragmatiker nicht nur der Schwäche der Sozialdemokratie und den geringen Erfolgsaussichten eines rot-rot-grünen Bündnisses im Bund Rechnung, sondern öffnen die Partei auch für eine Koalition mit der Union. Denn eines soll nach dem Willen führender Grüner nicht noch einmal passieren: Dass sie – wie im Herbst 2013 – in die Opposition gehen müssen, weil die Partei auf links gepolt ist und eine Regierungsbeteiligung wie Verrat wirkt. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass der Hamburger Konvent einmal in die Grünen-Geschichte eingehen wird: Als Parteitag, bei dem die Grundlage für eine schwarz-grüne Koalition gelegt wurde, geführt von einer Kanzlerin namens Angela Merkel – allseits geschätzt wegen ihres Pragmatismus.

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