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"Und erlöse uns von allen Üblen" #20: Ein Leibwächter findet wenig Schlaf

Die Polizei ahnt, von wo aus der Mörder des Rechtsnationalen Freypen geschossen hat. Dem alten Freund des Toten dröhnt der Schädel. Fortsetzungsroman, Teil 20.

Was bisher geschah: Nach dem Mord am Chef der Nationalen Alternative verwischt dessen Leibwächter einige Spuren zu Machenschaften der Partei. Das BKA macht Druck.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 20 vom 5. Juli.

Nach dem Telefonat mit Freypens Witwe entschied Mulder für sich, den Rest der Nacht auf jeden Fall in der Parteizentrale zu verbringen, um ungestört und in Ruhe noch ein paar Sachen zu erledigen. Seine Leute hat er nach Hause geschickt und für sieben Uhr morgens wieder bestellt. Unten vor dem Haus stand noch ein Wagen der Polizei, aber dies nur pro forma. Es war nicht zu erwarten, dass der Mörder noch mal vorbeischaute. Das Privatflugzeug Freypens würde beim ersten Morgengrauen zu Julia Freypen in die Türkei starten, der Pilot wusste Bescheid und kümmerte sich um die nötigen Formalitäten. Zwei der Bodyguards sollten mitfliegen.

Der Pressereferent der Partei hat das als Meldung an dpa gegeben. Die Agentur interessierte sich sonst nie für die nationalen Alternativen, aber diesmal wurde sofort online berichtet, dass die Witwe des Ermordeten am Sonntag gegen 14 Uhr in Hamburg erwartet wird. Freypens Tod hatte einen ungeheuren PR-Effekt für seine Partei. Man könnte fast vermuten, er habe seine Ermordung selbst bestellt, um mit seiner Partei in der Wählergunst sicher über fünf Prozent zu kommen.

Mulder hatte schnell die Disketten und Sticks gefunden, auf denen alle Parteimitglieder verzeichnet sind und die Spender mit den jeweiligen Summen und sie eingesteckt. Die entsprechenden Listen auf der Festplatte des Computers löschte er. Suchte zuvor noch einmal stundenlang jeden Schreibtisch in jedem Büro ab, aber fand nichts, was der Partei oder ihrem toten Chef schaden könnte. Er vermochte sich zwar keinen Grund für eine Hausdurchsuchung vorstellen, aber Krucht würde er nicht noch einmal unterschätzen.

Um doch noch ein paar Stunden zu schlafen, stellte er sich ein paar Sessel zusammen und legte sich hin. Sorgen um seine Zukunft machte er sich nicht. Egal wie der Nachfolger von Freypen heißen würde, und er hatte das bestimmte Gefühl, dass er gerade am Telefon mit dem gesprochen hatte, ihn würde man brauchen. Ihn, Mulder, den treuen Karl, der die Drecksarbeit machte, die gemacht werden musste. Der viel wusste, so viel wusste.

Das Telefon klingelte. Einmal, zweimal. Helga Freypen vielleicht? Mühsam rappelte er sich auf, stieß im Dunkel mit dem Knie an einen Stahlschrank, fluchte über den stechenden Schmerz, und meldete sich.

"Ja?"

"Krucht hier, schön dass wir Sie gefunden haben. Zuhause waren Sie nicht zu erreichen und da habe ich mir gedacht, Sie sind bestimmt noch am Tatort, um aufzuräumen."

"Und?"

"Ich wollte Sie nur bitten, uns zu öffnen, wenn wir gleich klingeln. Meine Kollegin möchte sich auch noch einmal umschauen und vielleicht hat sie noch ein paar Fragen an Sie."

"Welche Kollegin? Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?"

"Ja, kann ich Ihnen verraten, kurz nach halb vier Uhr morgens. Aber wer kann in einer solchen Nacht schon schlafen? Sie bestimmt nicht, erst recht, weil sie Freypen so nahe standen und ... ach so, die Kollegin. Ganz einfach: Das BKA hat den Fall übernommen, so was kennen Sie ja sicher noch von früher, und Frau Doktor Hornstein leitet die Ermittlungen. Wie gesagt, wir sind gleich da."

Zum zweiten Mal in dieser Nacht hielt Mulder noch den Hörer am Ohr, obwohl die Leitung längst tot war. Nervös suchte er nach einer Zigarette. Er war schlagartig hellwach. Was wollten die verdammt noch mal ? Habe ich irgendetwas übersehen?

Er ging auf den Balkon und fröstelte im kalten feuchten Nachtwind. Gegenüber flimmerte bläuliches Licht hinter einem dunklen Fenster. Von dort könnte der Mörder geschossen haben, dachte Mulder und rieb sich über die faltenlose Glatze, aber er hatte natürlich keine Ahnung, dass er damit richtig lag.

Andrea Hofwieser kauert noch angezogen auf der Couch und schaut sich einen der nächtlichen Filme an. Sie wartet darauf, dass ihr ein Kurier den Andruck der Zeitung bringt.

Jens-Peter Schwarzkoff hockt zusammengesunken auf seinem Bootssteg an der Elbe, die Whiskyflasche neben ihm ist nur noch zu einem Drittel gefüllt. Seine Frau Julia kann ihm vom Schlafzimmer aus sehen. Sie weint, aber es hört schon lange keiner mehr, wenn sie weint.

Der blonde Holländer hat im Internet die Meldung von der Ermordung des deutschen Politikers gelesen und danach wieder auf die HBO-Serie True Detective geklickt.

Red sitzt rauchend ebenfalls am Computer und bekommt über Guardian Online zehn magere Zeilen vom Attentat in Hamburg.

Helga Freypen packt ihre Koffer und legt ein schwarzes Kleid , das sie immer dabei hat, sogar im Urlaub, nach oben. Sie übt vor dem Spiegel ihre Trauer und ist zufrieden.

Der Franzose liegt auf dem Bett im Smolka liest in seinem deutschen Lieblingsbuch "Die wunderbaren Falschmünzer", ohne das er nie verreist. Viele französische Zeitungen liegen verstreut auf dem Boden.

Nur der Mörder schläft tief und fest.

Und morgen lesen Sie: Der Mörder lässt die Tatwaffe verschwinden.

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