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"Und erlöse uns von allen Üblen" #27: Die Polizeireporterin lügt

Die Ermittlungen im Mordfall Freypen führen zur Journalistin Andrea Hofwieser. Die hat etwas zu verschweigen. Ein Fortsetzungsroman, Teil 27.

Was bisher geschah: Die ersten Spuren im Mordfall Freypen führen zur Wohnung der Polizeireporterin Andrea Hofwieser. Die Chefermittlerin kümmert sich persönlich darum.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 27 vom 12. Juli.

Andrea Hofwieser schaut fragend die blonde Frau an, die vor ihrer Tür steht. Die zückt einen Ausweis und sagt knapp: "Hornstein, Bundeskriminalamt, ich möchte Ihnen gern ein paar Fragen stellen." Die Reporterin bittet sie mit einer lässigen Handbewegung herein und scheint allenfalls überrascht, dass nicht einer von den Männern vor ihr steht, die sie nachts da drüben gesehen hat.

Susanne Hornstein blickt sich aus reiner Gewohnheit prüfend in dem großen Wohnraum um. Ihre Mutter nennt das Tatortsyndrom. Manchmal ist es so, dass ihre Tochter , die Leitende Kriminaldirektorin Susanne Hornstein, vergisst wo sie ist und sogar den Wohnraum des Hauses am Rhein kontrolliert, das sie, jeder für sich in seinem Trakt, aber gemeinsam bewohnen.

"Schauen Sie sich ruhig alles an", bemerkt Andrea Hofwieser spöttisch, "aber ich kann Ihnen auch gleich sagen, dass ich die Fotos dort vom Fenster aus gemacht habe. Deswegen sind Sie doch hier oder?" Wartet. "Das wissen wir", sagt Susanne Hornstein kühl und wendet sich nun der Rothaarigen zu, "aber deshalb bin ich nicht hier." Die andere Frau ist verblüfft, aber zeigt es nicht. "Klingt spannend. Mögen Sie einen Kaffee? Ich habe gerade eine frische Kanne gemacht."

Die Beamtin nickt, sehr gern, danke, und geht ans Fenster. Sie kann von hier genau in das Büro Freypens schauen, das auf der anderen Straßenseite schräg unter ihr liegt. Susanne Hornstein zuckt zusammen, als sie die zusammengesunkene Gestalt am Schreibtisch sieht, beruhigt sich aber schnell. Es ist nur die Puppe, mit der sie heute morgen den Schusswinkel berechnet haben. "Nein, deswegen bin ich nicht hier", wiederholt sie und nimmt die angebotene Tasse Kaffee in beide Hände, "darf ich mich setzen?" Andrea nickt und hockt sich ihr gegenüber im Schneidersitz auf die Couch. Sie trägt immer noch alte Jeans und dicke Wollsocken ohne Schuhe und ein schlabberiges weißes T-Shirt. Das dunkelblaue Kostüm der anderen Frau sieht aus wie frisch gebügelt. "Darf ich auch rauchen?" Wieder nickt Andrea und nimmt sich selbst eine Zigarette aus der angebotenen Schachtel.

"Wann haben Sie die Fotos gemacht gestern Abend?"

So etwa gegen halb zehn, ich bin nicht ganz sicher, kann auch ein paar Minuten später gewesen sein. Warten Sie, das ließe sich sogar genau feststellen. Ich habe im Radio von dem Attentat gehört und bin dann aus der Badewanne raus und habe in der Redaktion angerufen und dann ..."

"Waren Sie den ganzen Abend über zuhause?"

Andrea zögert, was Susanne Hornstein registriert, aber nichts damit anfangen kann. "Nein, ich bin kurz nach neun hier gewesen, also kurz nach 21 Uhr, ich war bei einem Empfang. Wollen Sie wissen wo? In der Heinrich-Heine-Villa, das ist an der Alster." Sie denkt an die Szene in der Tiefgarage und schüttelt sich ein wenig, als ob ihr kalt sei.

"Und?"

"Es war langweilig, darum bin ich früher gegangen."

"Allein?"

"Mein Verleger hat mich ein Stück mitgenommen und hier unten an der Haustür abgesetzt. Den könnten Sie übrigens auch fragen, wie spät es war. Schwarzkoff heißt der, Jens-Peter Schwarzkoff." Susanne Hornstein macht sich eine Notiz. Aber nur in Gedanken, denn Namen merkt sie sich ohne sie aufschreiben zu müssen: "Ist Ihnen irgend etwas aufgefallen, als sie nach Hause kamen? War die Tür verschlossen? War hier alles wie immer? War das Fenster geöffnet? Hat es vielleicht anders gerochen als sonst?"

"Anders gerochen? Warum fragen Sie?"

"In dürren Worten", antwortet Susanne Hornstein trocken, "wir vermuten, dass die Schüsse auf Freypen von hier aus abgefeuert worden sind."

"Sie denken, dass ich ..."

"Nein, nicht Sie. Ich habe gesagt, wir glauben, dass der Mörder Ihre Wohnung benutzt hat. Zumindest der Schusswinkel lässt diesen Schluss zu. Und falls Sie nicht da waren, was wir selbstverständlich nachprüfen müssen, gibt es nur die Möglichkeit, dass jemand in Ihre Wohnung eingebrochen ist. Deshalb die Frage, ob Ihnen etwas aufgefallen ist."

Wieder zögert Andrea Hofwieser und plötzlich weiß sie, woran sie gedacht hat, als sie gestern Nacht an ihrem Fenster stand und die Fotos vom Tatort machte. Der Mörder muss genau da gestanden sein, wo sie stand. Und der Mann in der Tiefgarage, der sie gerettet hat und der sich natürlich bisher nicht gemeldet hat, das war der Mörder, wer sonst. Passte alles.

Passte vielleicht zu gut?

"Worüber denken Sie nach? Ist Ihnen doch etwas eingefallen?"

Andrea schüttelt den Kopf. Sie denkt nicht daran, diesem eingebildeten Blaustrumpf ihr gegenüber alles zu erzählen. Als Polizeireporterin lässt sie sich von Polizisten nicht so leicht beeindrucken. Auch von einer Kriminaldirektorin nicht und auch nicht vom Bundeskriminalamt. Das hier ist ihre exklusive Geschichte. Und offenbar noch viel wahnsinniger als sie sich eine Geschichte, für ihr Buch zum Beispiel, je hätte ausdenken können.

"Nein, nein, ich habe mir nur gerade vorgestellt, was der Mörder wohl mit mir gemacht hätte, falls ich in hier überrascht .... das heißt, wenn Sie recht haben, dass er von hier aus geschossen hat."

Eine andere Wohnung komme nicht in Frage, bekräftigt Susanne Hornstein und steckt sich an der Kippe ihrer alten eine neue Zigarette an: "Er muss hier gewesen sein. Oder sie, kann ja auch eine Frau gewesen sein. Wir wissen nichts. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich die Spurensicherung bitte zu kommen?" Sie wartet die Antwort nicht ab, sondern greift zu ihrem Handy und wählt eine Nummer: "Wohnung Andrea Hofwieser, oberster Flur, volles Programm."

Dann fällt auch ihr ein, welchen Beruf ihre Gesprächspartnerin hat. "Sie sind eine wichtige Zeugin, Frau Hofwieser, und ich kann mir vorstellen, dass dies alles für Sie als Reporterin zynisch ausgedrückt ein Geschenk des Himmels ist. So wie das Foto heute in Ihrer Zeitung. Aber Sie dürfen erst dann darüber schreiben, wenn ich Ihnen das Okay gebe, verstehen Sie?"

Andrea Hofwieser nickt automatisch, aber natürlich denkt sie nicht daran, sich an ein solches Verbot zu halten. Was auch Susanne Hornstein ahnt, aber sie versucht es noch einmal, sozusagen mit einem Appell an das moralische Gewissen, was beweist, wie selten sie es bisher mit Journalisten zu tun gehabt hat: "Auch Mörder sind online und lesen Zeitungen."

Und morgen lesen Sie: Die Reporterin denkt an ihr Buch und ihren Ruhm.

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