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"Und erlöse uns von allen Üblen" #30: Die Spurensicherung findet nichts

Die Polizeireporterin und ihr Chef geben sich ein Alibi. Beide haben viel zu verschweigen. Ein Fortsetzungsroman, Teil 30.

Was bisher geschah: Die Ermittlungen im Mordfall Freypen konzentrieren sich auf die Rolle der Journalistin Hofwieser. Die denkt an ihre Karriere.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 30 vom 15. Juli.

Bei Andrea Hofwieser klingelt das Telefon, sie greift hastig zum Hörer. Warum ist die so nervös? , wundert sich Susanne Hornstein und lässt sich kein Wort entgehen. "Ach, Sie sind es", sagt die Reporterin mit merkwürdig gepresster Stimme, "war ein gutes Foto, nicht wahr? Danke. Gehaltserhöhung wäre mir lieber, aber darüber können wir sicher später sprechen, nicht wahr? Ich habe gerade Besuch von der Polizei, die fanden das Foto auch sehr gut. Ja klar, wegen Freypen." Dann lacht sie. Ein wenig hysterisch, wie Susanne Hornstein findet.

Aber wie soll sie wissen, dass Andrea Hofwieser beim ersten Klingeln befürchtet hat, ausgerechnet jetzt würde der Mann aus der Tiefgarage anrufen, und sich nun nicht so ganz entscheiden kann, ob das schlimmer gewesen wäre als der Anruf von Schwarzkoff, dem verhinderten Vergewaltiger: "Eigentlich ganz passend, dass Sie anrufen, Herr Schwarzkoff. Sie sind nämlich mein Alibi. Ich habe gerade der Dame hier gesagt, dass Sie mich gestern Abend freundlicherweise nach Hause gebracht haben. Vielleicht können Sie ihr selbst sagen, wie spät es da war?" Sie wartet seine Antwort nicht ab und gibt den Hörer weiter an die Polizistin: "Hier, mein Verleger, mein Alibi, fragen Sie ihn selbst."

Susanne Hornstein stellt sich am Telefon vor und lässt sich von Schwarzkoff bestätigen, dass er so etwa viertel nach neun gestern Abend seine Mitarbeiterin an der Eingangstür unten abgesetzt hat. "Ach", fügt er hinzu und umgeht damit geschickt die naheliegende Frage, wo er denn anschließend gewesen sei, "meine Frau hat mir erzählt, dass Freypen mich gesucht hat. Genau um 21 Uhr hat er angerufen, aber da war ich ja noch nicht zuhause. Sie weiß es so präzise, weil sie im Hintergrund die Glocken einer Kirche gehört und mitgezählt hat." Verabschiedet sich fast überschwänglich, was die Beamtin ein wenig erstaunt, aber sie kann nicht ahnen, wie erleichtert sich der Verleger plötzlich fühlt. Andrea Hofwieser hat nicht geplaudert. Sie hat nichts von der Tiefgarage erzählt.

Schwarzkoff ist wieder beruhigt und die Kopfschmerzen sind auch schon fast weg. Das mit der Gehaltserhöhung versteht er auch richtig. Sie will als Gegenleistung für ihr Schweigen mehr Vorschuss für ihr Buch.

Die Spurensicherung ist mit ihrer Arbeit fertig, auf den fragenden Blick von Susanne Hornstein schüttelt einer der Beamten den Kopf: "Eigentlich nichts, nicht mal einen Kratzer auf der Fensterbank oder Ölspuren von einer Waffe, nichts. Entweder war der nicht hier oder es war ein absoluter Profi."

Seine Chefin ist zwar sicher, dass der Mörder diese Wohnung benutzt hat, aber dass er ein absoluter Profi ist, glaubt sie auch. Das wird spannend, denkt Susanne Hornstein, der wird mich fordern, und sie freut sich auf das Duell wie auf einen Wettkampf. Den sie natürlich gewinnen will. Die Uhrzeiten passen ebenfalls zur Theorie, dass die Schüsse von hier aus gefallen sind. Um 21 Uhr hat Freypen noch gelebt, wie der Anruf bei Schwarzkoffs Frau belegt, und wenn der Mörder danach sofort geschossen hat, ist ihm genügend Zeit geblieben, ungesehen zu verschwinden, bevor Andrea Hofwieser wieder in ihre Wohnung gekommen ist. Letzte Sicherheit wird ein Schusstest bringen.

Das Foto hättest du wohl doch gerne, denkt Susanne Hornstein boshaft, als sie den gespannten Ausdruck in Andrea Hofwiesers Gesicht sieht, während einer der BKA-Beamten aus einer Art länglichem Koffer ein G36 von Heckler & Koch nimmt, denn aus einer solchen Waffe wurde geschossen, sagen die Ballistiker, und ans Fenster tritt. Er spricht halblaut in sein Handy und auf der anderen Straßenseite wird das Büro von Freypen geräumt, nur die Puppe sitzt noch einsam und zusammengesunken am Schreibtisch. Der Mann hebt seine Waffe, kniet sich ans Fenster, zielt und schießt. Wartet und schießt noch einmal. Dann horcht er in sein Smartphone, dreht sich um zu Susanne Hornstein: "Präzise. Einmal zehn Millimeter neben dem Loch in der Wand, einmal genau in die Stirn." Zwischen dem ersten und dem zweiten Schuss ist die Puppe, die Freypen darstellen soll, so gedreht und aufgesetzt worden, dass ihr wächsernes Gesicht in Richtung Fenster gerichtet ist. Das Loch gleicht dem am echten Toten gestern Nacht. Allerdings fließt hier kein Blut.

Susanne Hornstein erhebt sich und lässt dabei, wieder mal in Gedanken, ihre Kippe zischend in den inzwischen kalten Kaffee fallen. Stößt sofort hastig eine Entschuldigung heraus, aber Andrea winkt nur ab: "Ist mir auch schon oft passiert, kenne ich." Was ihr bei Susanne Hornstein zum ersten Mal Sympathien einbringt. Vielleicht hat sie zu schnell geurteilt? Doch nicht nur eine rothaarige arrogante Schlampe? Die Beamtin gibt ihr ihre Karte, auf der auch ihre Handynummer und ihre Email-Adresse verzeichnet sind . "Falls Ihnen doch noch etwas einfällt,", denn sie hat das Zögern von vorhin nicht ganz vergessen, "außerdem sehen wir uns ja noch. Ich schaue mir morgen die Zeitung an und dann melde ich mich bei Ihnen." Die Reporterin versteht genau, was sie meint: Nur wenn du schweigst, werde ich mit dir reden.

Und morgen lesen Sie: Der Mörder macht sich auf den Weg nach Holland.

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