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Politik: Ungesunde Differenzen

CDU-Länder drohen mit einem Nein zur Gesundheitsreform – sie berufen sich aber auf wackelige Zahlen

Berlin - Nach Bayern drohen nun auch die Bundesländer Baden-Württemberg und Hessen offen mit einem Nein zur Gesundheitsreform. Ihr Widerstand ist eigenen Angaben zufolge vor allem einem Gutachten des Kieler Volkswirtschaftlers Thomas Drabinski geschuldet. Das 40-seitige Werk listet angebliche Be- und Entlastungen durch die Reform für die einzelnen Bundesländer auf und sortiert diese in zwei Gruppen: Gewinner und Verlierer.

Damit es keiner übersehen möge, hat Drabinski Profiteure und Draufzahler auch gleich nach „Parteizugehörigkeit“ geordnet: Bei den Unionsländern stehen den Gewinnern mit einem Plus von 2,57 Milliarden Euro die Verlierer mit 3,84 Milliarden Euro minus gegenüber – unterm Strich wären also CDU und CSU die Dummen. Bei den SPD-Ländern hingegen gäbe es nur Gewinner. Sie machen dem Gutachten zufolge 1,27 Milliarden Euro gut.

So viel aus der Zusammenfassung. Wer sich ein bisschen in das Werk vertieft, entdeckt allerdings, dass die Zahlen, die die Länderchefs so erschrecken, sehr wacklig sind. Bei der Simulation der Reformfolgekosten geht der Verfasser nämlich von drei „Szenarien“ mit unterschiedlichsten Daten aus, die dann das Ergebnis bestimmen. Beispiel Bayern: Während Ministerpräsident Edmund Stoiber trotz Berufung auf das Gutachten immer noch mit dem selbst errechneten Minus von 1,7 Milliarden Euro hausieren geht, kommt Drabinski für den Freistaat je nach Berechnungsgrundlage auf ein Minus zwischen 0,05 und 1,04 Milliarden. Ähnlich weit auseinander sind die Spannweiten für den „Verlierer“ Niedersachsen (0,35 bis 2,6 Milliarden minus) oder den „Gewinner“ Berlin (0,28 bis 2,44 Milliarden Euro plus). Sicher ist sich der Verfasser im Grunde nur, dass Niedersachsen, Hessen, Baden- Württemberg und Bayern zu den Verlierern, Nordrhein-Westfalen, Berlin, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen hingegen zu den Gewinnern zählen.

Im Falle Bayerns entschied sich Drabinski am Ende für den höchsten Minusbetrag seines Spektrums. Warum? Er habe das Szenario genommen, das „am konservativsten und für mich am plausibelsten gewesen ist“, sagte Drabinski dem Tagesspiegel ohne nähere Begründung. Gleichzeitig betonte er aber, dass auch das weit geringere Bayern-Minus von 50 Millionen denkbar sei. Dies entspräche dann in etwa den Berechnungen von Bundesversicherungsamt und Gesundheitsministerium – die von den Bayern als weit untertrieben zurückgewiesen worden waren.

Das zweite Problem ist die Grundannahme des ganzen Gutachtens. Es geht davon aus, dass die eigens in den Gesetzentwurf eingefügte Klausel, wonach die Mehrbelastung pro Land auf jährlich 100 Millionen Euro begrenzt wird, nicht kommt. Die Klausel sei „überhaupt nicht umsetzbar“, weil nicht zu berechnen, sagte Drabinski unter Berufung auf das Bundesversicherungsamt. Ein Grund dafür sei etwa, dass viele Krankenkassen nicht regional strukturiert seien. Im Ministerium sieht man das anders: „Aus unserer Sicht spricht nichts gegen die Praktikabilität der Klausel“, sagte Sprecher Klaus Vater dem Tagesspiegel. „Wir werden sehen, dass die Geschichte ans Laufen kommt.“ Im übrigen sei die Klausel nicht nur von Bayerns Staatsregierung gefordert, sondern auch formuliert worden.

Vater versprach, dass die regionalen Folgen der Reform samt Gutachten nochmals „sehr genau geprüft“ würden. Seiner Ansicht nach werde dies aber „zeigen, dass Drabinskis Ausarbeitung nicht hält, was sie verspricht“ – und dass es sinnvoller wäre, wenn die Arbeitgeber, die mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft offenbar auch das Gutachten finanzierten, ihr Geld künftig anders investierten. Die Koalitionsarbeitsgruppe trifft sich am kommenden Mittwoch und am 8. Januar. Die Länderchefs versammeln sich das nächste Mal am 10. Januar in Berlin, direkt danach hat die Koalition das Thema auf den Plan ihrer nächsten förmlichen Koalitionsrunde gesetzt.

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