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Politik: „Union kann auf keinen Fall durchregieren“

Parteienforscher Walter über Posten und die Frage, wer in einer großen Koalition das Sagen haben wird

Die Union wird in einer großen Koalition die Kanzlerin stellen, die SPD dafür wichtige Schlüsselressorts besetzen. Welche Rolle werden die beiden Parteien in einer künftigen Regierung jeweils spielen, Herr Walter?

Mit den Ressorts Arbeit, Soziales und Gesundheit hat sich die SPD den Zugriff auf zentrale Politikthemen der Zukunft gesichert. Das könnte im politischen Wettbewerb ein Vorteil sein. Auf der anderen Seite wäre ein unionsgeführtes Wirtschaftsministerium zwar nicht besonders mächtig, aber es könnte ein wichtiges Ministerium für die Kommunikation nach außen werden. Gerade für die bürgerliche Klientel ist es wichtig, dass von dort aus Ideen zur Belebung der Wirtschaft kommen. Aus Sicht der SPD scheint es mir nicht besonders glücklich zu sein, das Finanzministerium zu besetzen. Als Finanzminister kann man nicht stark agieren, sondern nur auf schlechte Nachrichten reagieren.

Wie werden die Anhänger der beiden Parteien auf diese Einigung reagieren?

Natürlich wird es einiges Grummeln und auch Kritik in den beiden Parteien geben. Allerdings haben die Anhängerschaften im Vergleich zu früheren Zeiten doch auch ideologisch abgerüstet. Es gibt nicht mehr so viele Vorbehalte wie früher. Die einen sind keine richtigen Schwarzen mehr, die anderen keine richtigen Roten mehr. Am Ende werden es die Eliten der Parteien dann auch hinbekommen, auf den Parteitagen Mehrheiten für diese Koalition zu finden.

Merkwürdig ist ja, dass die Einigung auf Posten vor den inhaltlichen Verhandlungen stattfand. Wird jetzt überhaupt noch über ein spezielles Programm gesprochen, das beide Parteien verbinden kann?

Diese Koalition hätte keinen gemeinsamen Gegner, schon allein deshalb müsste zumindest klar sein, in welche Himmelsrichtung es gehen soll. Ich habe nie verstanden, warum man sich wegen eines gewissen neu-liberalen Drucks so apodiktisch und manchmal hämisch abgewandt hat von den eigenen Leistungen der letzten 40 bis 45 Jahre. Union und SPD haben die Bonner Republik begründet, sie haben in der Vergangenheit wichtige soziale Errungenschaften gemeinsam verabschiedet und sie haben auch immer wieder Wandlungen hinbekommen. Auf diese Tradition einer zivilen Republik mit einem hohen sozialen Ausgleich könnten sich beide Parteien beziehen.

Angela Merkel hat nie eine Regierung geführt, jetzt wird sie wohl Kanzlerin. Muss sie eine neue Technik des Regierens erfinden?

Sie darf nicht als Wadenbeißerin auftreten, sie muss vielmehr als Kanzlerin moderieren und integrieren. Sie kann auf keinen Fall durchregieren, sie darf auch nicht mit vorformulierten Konzepten kommen und muss auch Geduld haben. Es wird vor allem darauf ankommen, dass die beiden Fraktionsvorsitzenden gut zusammenarbeiten können. Sie werden die beiden starken Figuren innerhalb einer großen Koalition sein. Die Regierungschefin wird dagegen eher eine große Repräsentantin mit moderativen Fähigkeiten sein. Diese Fähigkeiten hat Merkel bisher nicht zeigen können und dürfen. In eine solche Rolle kann man hineinwachsen, das ist aber nicht zwingend.

Das Gespräch führte Fabian Leber.

Franz Walter (49)

ist Professor für

Politikwissenschaft

an der Universität

Göttingen. Der Parteienforscher beschäftigt sich vor allem mit

der Entwicklung der

Volksparteien.

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