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Union und Atom: Im Kern museumsreif

Der Nordrhein-Westfale Röttgen hat versucht, die CDU vom Ruch der letzten Atompartei der Republik zu reinigen. Die Atomparteifreunde haben zurückgeschlagen. Verblüffen kann das niemanden. Die Union hat mit der Formel von der Atomkraft, die als "Brückentechnologie" ins Öko-Energieland noch etwas länger gebraucht werde, von Anfang an die Bürger und sich selbst betrogen.

Von Robert Birnbaum

Norbert Röttgen weiß seit ein paar Tagen, wie sich eine Niederlage anfühlen könnte. Die Atomfreunde aus der eigenen CDU haben den Umweltminister gezwungen, eine Verlängerung der Atom-Laufzeiten prüfen zu lassen, die einer Ewigkeitsgarantie gleichkäme: 28 Jahre zusätzlich, Abschaltung des letzten AKW im Jahr 2050. Die Opposition heult auf, der Bürger reibt sich die Augen. Atomkraft, ja bitte volles Rohr?

Nun meinen das nicht mal die Atomfreunde ganz ernst. Ihr Manöver ist ein Trick. Er setzt darauf, dass Politik sich unter mehreren Alternativen meist für die Mitte entscheidet. Vier Modelle für Deutschlands Energiezukunft lässt die Koalition rechnen. Röttgen wollte das Nachdenken auf die Spanne zwischen vier und 20 Jahren mehr Atom begrenzen. Die politische Mitte hätte nahe den acht Jahren gelegen, die er der Atomwirtschaft zugestehen will. Die Mitte zwischen vier und 28 liegt ein Stück höher.

Ob das Manöver funktioniert, ist offen. Wirkung entfaltet es schon jetzt. Falls am Wahlabend des 9. Mai jemand fragt, warum die Grünen in Nordrhein-Westfalen so gut abgeschnitten haben – hier liegt dann eine Antwort. Der Nordrhein-Westfale Röttgen hat versucht, die CDU vom Ruch der letzten Atompartei der Republik zu reinigen. Die Atomparteifreunde haben zurückgeschlagen.

Verblüffen kann das niemanden. Die Union hat mit der Formel von der Atomkraft, die als „Brückentechnologie“ ins Öko-Energieland noch etwas länger gebraucht werde, von Anfang an die Bürger und sich selbst betrogen.

Hinter der Formel steht ja ursprünglich eine Risikoabwägung: Atom- gegen Klimakatastrophe, mehr Atom gleich weniger Kohle plus mehr Sonne und Wind. Wer das ernst meint, muss die Brücke kurz halten, um beide Risiken schnell aus der Welt zu schaffen. Denn beide Risiken sind real. Die Blaupausen zu unseren Atommeilern stammen aus den 60er und 70er Jahren. Damals sind tollkühne Männer mit Kisten zum Mond geflogen, über deren „Elektronenhirn“ jeder moderne Backofen kichert und die der TÜV heute nicht mal als Kirmesbelustigung zulassen würde. Einiges kann man nachrüsten. Die Kernsubstanz bleibt museumsreif.

Allzu viele in der Union leugnen das. Sie stellen sich die Brücke nicht als Notbehelf vor, sondern als solides Betonbauwerk. Bestenfalls steckt dahinter echte Sorge um die Energiezukunft des Produktionsstandorts Deutschland. Allzu oft spielt Ideologie mit, das bloße Spiegelbild jener Prinzipienreiterei, die die Schwarzen den Rot-Grünen vorwerfen. Wen beim „Atomkraft - Nein Danke“-Sticker auf dem alten Fahrrad die Nostalgie überwältigt, der kann vielleicht über Energiefragen nicht mehr nüchtern denken. Wem dabei die Galle hochkommt, kann es aber ganz genauso wenig.

Dabei wäre Nüchternheit das Nötigste. Ein klimafreundliches High-Tech-Land entsteht nicht von selbst. Eine dezentrale, nach Wetterkarte schwankende Energieproduktion erfordert neue Netze und andere Kraftwerke. Die Steckdose fürs Elektroauto braucht wieder andere Strukturen. Die müssen heute aufgebaut werden, wenn sie morgen da sein sollen.

Je länger die Atommeiler laufen dürfen, desto länger konservieren sie die alte Zentralstruktur. Deshalb ist ja ein steriler Laufzeit-Wettlauf so gefährlich: Er hat das Zeug, die Zukunft zu verbauen. Wobei – wenn die Atomfreunde Pech haben, dann hilft ihr kleiner Etappensieg einem Bündnis zur Macht, das sie sich am wenigsten wünschen. Schwarz-Grün in Düsseldorf, das wäre die gerechte Strafe.

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