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Jede Stimme zählt. Das Hin und Her um die Reform des Wahlrechts zieht sich hin. Die Opposition setzt die Koalitionsfraktionen mit eigenen Anträgen unter Druck. Die behaupten, es gehe ihnen nur noch um die Feinabstimmung.

© picture alliance / dpa

Wahlrechtsreform: Union will abstimmen lassen wie 1953

Die Union will im Wahlrecht eher wenig ändern - weil sie profitiert. Der SPD gefällt das nicht. Sie droht der Koalition bei der Wahlrechtsreform mit einer Klage in Karlsruhe.

Berlin - In Bundesratskreisen spottet man schon ein Weilchen, dass die Regierung Merkel II, die schwarz-gelbe Koalition also, möglicherweise die ereignisloseste Wahlperiode in der Geschichte der Bundesrepublik hinzaubern wird. Jedenfalls was die Gesetzgebung angeht. Beim Wahlrecht immerhin werden Union und FDP nicht anders können, hier hat das Bundesverfassungsgericht Einwände erhoben und eine Umsetzungsfrist bis Juni 2011 gesetzt. Es geht um die eher technische Frage des „negativen Stimmgewichts“: Weniger Stimmen für eine Partei können unter Umständen zu mehr Sitzen führen (und umgekehrt). Außerdem geht es um die Überhangmandate, die eine Partei immer dann in einem Bundesland bekommt, wenn sie direkt mehr Mandate in den Wahlkreisen gewonnen hat, als ihr in diesem Land nach dem reinen Stimmenverhältnis eigentlich zustehen. Letzteres immerhin kann dazu führen, dass am Ende eine Bundesregierung dank der Überhangmandate an die Machthebel kommt, die eigentlich gar keine echte Stimmenmehrheit hat.

Ein schwarz-gelber Gesetzentwurf liegt aber immer noch nicht vor, die Wahlrechtsdebatte an diesem Donnerstag dreht sich nur um die Gesetzentwürfe von SPD und Linkspartei. Der Entwurf der Grünen war schon im März an der Reihe, ist aber bei den anderen Parteien durchgefallen. Aus der Unionsfraktion heißt es, es bedürfe noch einiger letzter Abstimmungen mit dem Koalitionspartner. Es gehe um feine Details.

Denn natürlich hat die Union schon konkrete Vorstellungen für ein neues Wahlrecht: Kurz gesagt laufen sie darauf hinaus, eher wenig zu ändern. Die Verteilung der Bundestagssitze wird nur noch auf der Landesebene stattfinden, nicht mehr bundesweit, die Landeslisten sind somit nicht mehr verbunden. Sechzehn Wahlgebiete also. Die Überhangmandate sollen bleiben, ohne Ausgleich wie bisher im Bundestag (während in den Landtagen ein solcher Ausgleich stattfindet, um das Stimmenverhältnis auch annähernd im Parlament abzubilden). Unklar ist noch, wie genau die Sitze auf die Parteien verteilt werden – die FDP möchte ein Verfahren, das die kleinen Parteien nicht benachteiligt. Der Unionsplan ist im Kern eine Rückkehr zu einem Wahlrecht, wie es noch 1953 galt.

Thomas Oppermann gefällt das alles gar nicht. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion findet es „unerträglich, wie die Koalition mit dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts umgeht“. Sie versuche, die eigene Macht mithilfe von Überhangmandaten zu sichern, sagte er dem Tagesspiegel. In der Tat könnte bei der nächsten Wahl wieder ein hoher Anteil an diesen Mandaten an die Union fallen (derzeit sind es 24) – allerdings auch an die SPD, wenn sie sich bis dahin wieder richtig aufrappelt. „Bei einem knappen Ergebnis bei der nächsten Bundestagswahl bergen Überhangmandate die Gefahr, dass die Parteien mit den meisten Zweitstimmen nicht die Mehrheit der Sitze im Bundestag haben“, fürchtet Oppermann und kündigte an, rasch in Karlsruhe zu klagen, sollten Union und FDP einen Alleingang wagen (was sie dürfen, das Wahlrecht kann mit einfacher Mehrheit geändert werden). Die Klage werde so schnell erfolgen, „dass das Verfassungsgericht eine Neuregelung noch vor der nächsten Bundestagswahl anordnen kann“. Oppermann mahnte: „Politisches Einvernehmen über Fragen des Wahlrechts ist entscheidend für die Akzeptanz unser Demokratie insgesamt.“

Die SPD plädiert vor allem dafür, die Überhangmandate einer Partei mit Sitzen für die anderen Parteien auszugleichen. „Wir wollen, dass das Verhältnis der Sitze im Bundestag wieder dem Verhältnis der abgegebenen Zweitstimmen entspricht“, sagte Oppermann. Damit das Parlament dadurch nicht zu sehr aufgebläht wird, soll der Anteil der Direktmandate an der Gesamtsitzzahl des Bundestags verringert werden. Bisher ist das Verhältnis 50 zu 50. Künftig säßen dann mehr Listenkandidaten als direkt gewählte Abgeordnete im Bundestag. Für diesen SPD-Vorschlag müssten allerdings die Wahlkreise vergrößert werden, was zur Wahl 2013 wohl nicht mehr möglich ist.

Ausgleichsmandate schlägt auch die Linkspartei vor, die – wie die SPD – beim einheitlichen Wahlgebiet mit verbundenen Landeslisten bleiben will (die Sitze der einzelnen Parteien werden dann weiterhin quasi von oben her auf die Länder verteilt). Aber die Linke geht noch viel weiter: Wahlrecht ab 16, Wahlrecht für Ausländer, die mindestens fünf Jahre in Deutschland gemeldet sind, aktives Wahlrecht auch für inhaftierte Straftäter, Abschaffung der Fünfprozenthürde. Für eine solch große Wahlrechtsreform zeichnet sich aber keine Mehrheit im Bundestag ab.

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