zum Hauptinhalt
Bolivien_Unruhen

© dpa

Unruhen: Im Ausnahmezustand

Die Gewalt in Bolivien eskaliert: Die Regierung verhängt das Kriegsrecht, sucht aber weiter den Dialog mit dem politischen Gegner. Präsident Evo Morales ist dennoch pessimistisch, was ein Abkommen mit der Opposition anbelangt.

Von Michael Schmidt

Berlin - Bürgerkrieg oder Rückkehr zur Politik? Bolivien, Südamerikas krisengeschütteltes Armenhaus, steht wieder einmal am Scheideweg. Die Gewalt zwischen Anhängern von Staatspräsident Evo Morales und der Opposition hat in Teilen des Andenstaates in den vergangenen Tagen zum Zusammenbruch der Infrastruktur und des öffentlichen Lebens geführt. In mehreren Provinzen wurden staatliche Einrichtungen zerstört, Flughäfen besetzt, Gasleitungen unterbrochen und Straßen blockiert. Es fehlten Nahrungsmittel und Benzin. Am Samstag schließlich verhängte die Regierung den Ausnahmezustand über die abgelegene Amazonas-Region Pando im Norden des Landes, nachdem bei Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern des sozialistischen Präsidenten mindestens 15 Menschen getötet worden waren. Damit sind Demonstrationen, nächtliches Fahren und das Tragen von Waffen verboten.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief alle Konfliktparteien zur Mäßigung auf. Ein Appell, dem Morales offenbar nachzukommen versuchte. Der bolivianische Konflikt hatte sich zuletzt zu einer regionalen Krise ausgewachsen und war in eine diplomatische Eiszeit mit den USA gemündet: Morales erklärte den US-Botschafter zur Persona non grata, da er Autonomiebestrebungen der reichen Regionen in dem Andenstaat unterstützt habe. Sein venezolanischer Amtskollege Hugo Chavez sprang ihm bei und verwies, „aus Solidarität mit Bolivien“, den US-Botschafter in Caracas ebenfalls des Landes, woraufhin die USA ihrerseits die Vertreter der beiden südamerikanischen Staaten in Washington zur unerwünschten Person erklärten. Jetzt bemüht sich die Regierung in La Paz offenbar um Entspannung. Der bolivianische Außenminister David Choquehuanca verwahrte sich gegen die Einmischung Venezuelas. „Wir werden die Probleme unter Bolivianern lösen“, sagte er.

Brasilien drängt auf Vermittlung

Am Donnerstag hatte der brasilianische Präsident Lula da Silva Morales in einem Telefongespräch bereits überredet, eine Vermittlermission von hohen Diplomaten aus Brasilien, Argentinien und Kolumbien zu empfangen. Stunden später änderte Morales jedoch seine Meinung. Die staatliche Agentur „Agência Brasil“ meldete, im Telefonat mit Lula habe sich Morales pessimistisch in Bezug auf ein Abkommen mit der Opposition gezeigt. Er habe die Hoffnung geäußert, seine Anhänger zur Verteidigung der Regierung zu mobilisieren. Am Samstag nun bemühte sich Boliviens Administration dann doch um einen Dialog mit den politischen Gegnern: In La Paz empfing Vize-Präsident Alvaro García nach Angaben aus Regierungskreisen den Gouverneur von Tarija, Mario Cossío. Dieser sprach für fünf reiche Regionen, die sich gegen die Reformpolitik des Präsidenten zur Wehr setzen.

Morales, seit 2006 im Amt, ist der erste Indio-Präsident Boliviens und versucht, den Reichtum des Landes zugunsten der indianischen Bevölkerungsmehrheit umzuverteilen. Das stößt bei der weißen Oberschicht im rohstoffreichen Tiefland auf erbitterten Widerstand. Bei Volksabstimmungen am 10. August waren Morales, aber auch vier oppositionelle Gouverneure mit großer Mehrheit in ihren Ämtern und damit auch in ihrer Absicht, sich politisch auf ganzer Linie durchzusetzen, bestätigt worden. Für Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin ist klar: Eine Rückkehr zur Politik im Sinne einer Konfliktlösung durch Verhandlung und Kompromissfindung wird erst möglich sein, „wenn ein Zustand erreicht ist, in dem beide Seiten einsehen, dass ein Sieg über die andere nicht möglich ist“. Eine solche Ratio aber sei „bei beiden Akteuren derzeit nicht erkennbar“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false