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© dpa

Unruhen: Kirgistan: Im Kampf um die Kontrolle

Umsturz in der ehemaligen Sowjetrepublik Kirgistan – welche Bedeutung hat das für die Region?

Bei den Unruhen im zentralasiatischen Kirgistan wurden bereits mehr als 70 Menschen getötet und über 500 verletzt. Russische Medien vor Ort berichteten auch am Donnerstag von Plünderungen und Brandschatzungen. Oppositionsführerin Rosa Otunbajewa dagegen behauptete in einem Telefonat mit dem russischen Regierungschef Wladimir Putin, die Lage sei unter Kontrolle. Ihre Übergangsregierung hatte am Mittwochabend die Vollmachten des geflohenen Staatschefs Kurmanbek Bakijew und des Parlaments übernommen. Doch die Machtverhältnisse sind weiter unklar. Am Donnerstag meldete sich Bakijew erstmals seit Beginn der Unruhen zu Wort: „Ich bin ein gewählter Staatschef und erkenne überhaupt keine Niederlage an“, sagte er dem russischen Radiosender Echo Moskwy, der auch in Kirgistan empfangbar ist.

Zuvor hatte sich Otunbajewa zur provisorischen Regierungschefin erklärt. Nationalgarde, Grenzschutz und Polizei waren da bereits zur Opposition übergelaufen. Die Ex-Außenministerin kündigte Neuwahlen in spätestens sechs Monaten, Verfassungsänderungen, die die Machtfülle des Staatschefs stutzen sollen, und eine Senkung der Wohnnebenkosten an. Die kürzlich verfügte Anhebung der Tarife war der unmittelbare Auslöser für den Aufruhr gewesen.

Welche anderen Gründe gibt es für die Unruhen?

Die eigentlichen Ursachen sind die katastrophalen Wirtschaftsdaten und die hohe Arbeitslosigkeit. Kirgistan gehört zu den 20 ärmsten Staaten der Welt. Rund 70 Prozent der 5,3 Millionen Kirgisen leben unter oder knapp oberhalb der Armutsgrenze. Das durchschnittliche Monatseinkommen liegt bei 130 Dollar. Bakijew selbst werden Korruption, Clan- und Vetternwirtschaft vorgeworfen. Seine Familie hat nach und nach die Kontrolle über alle profitablen Wirtschaftszweige an sich gerissen und deren Erlöse „privatisiert“. Dafür wurde eigens eine Agentur geschaffen, die offiziell Investitionen koordinieren soll und von Bakijews Sohn Maxim geleitet wird. Dieser ist in Kirgistan besonders verhasst. Die Massen fordern seinen Rücktritt und die Auflösung der Behörde.

Bereits Bakijew

s Vorgänger Askar Akajew wurde wegen Korruption und Vetternwirtschaft aus dem Amt gejagt. Nach dem Machtwechsel während der „Tulpenrevolution“ vor fünf Jahren wurden dann aber einfach nur die Besitzstände und Eliten ausgetauscht. Bis März 2005 hatten die traditionell herrschenden Clans des Nordens das Sagen, die Akajew 1990 als Präsident eingesetzt hatten. Durch die Revolution gelangte mit Bakijew ein Mann des Südens an die Macht. Auf ihn – einen Mann ohne eigene Hausmacht – hatten sich die rivalisierenden südlichen Clans damals als Kompromiss geeinigt.

War Bakijews Schwäche bei der Wahl noch ein Plus, gelang es ihm später nicht, die Gier seiner Sippe zu zügeln. Andere Großfamilien sahen sich benachteiligt. Fast alle einstigen Weggefährten sind inzwischen Führer der Opposition. Da sie auch dort enge Gruppeninteressen verfolgen, ist diese hoffnungslos zerstritten. Lange Zeit konnte Bakijew ihre Führer daher gegeneinander ausspielen.

Was kann sich nun ändern?

Auch Otunbajewa ist keine Lichtgestalt. Ihre Sozialdemokraten sind wie alle Parteien in Kirgistan nur der politische Arm der Clans. Zudem kooperierte sie lange mit den jeweiligen Machthabern. Sie war Außenministerin sowohl in Akajews als auch in Bakijews Regierung. Bei freien und fairen Wahlen sind ihre Chancen daher begrenzt. Als Übergangspräsidentin ist Otunbajewa jedoch die Idealbesetzung. Die knapp 60-jährige Karrierediplomatin hat eine liberale politische Einstellung und ist so flexibel wie durchsetzungsstark. Sie hat gute Kontakte nach Russland und noch bessere in den USA, wo sie lange Botschafterin war. Auch in Zentralasien ist sie gut vernetzt. Diese Kontakte wird sie noch dringend brauchen, um Kirgistan zurück in die Normalität zu führen.

Welche Probleme muss Otunbajewa lösen?

Falls sie an der Macht bleibt, muss Otunbajewa vor allem versuchen, den seit Jahrhunderten schwelenden Nord-Süd-Konflikt und das wirtschaftliche Gefälle zwischen den beiden Landeshälften zu beseitigen. Außerdem muss sie das Verhältnis zu den Nachbarn verbessern. In den Bergen Kirgistans entspringen die größten Flüsse Zentralasiens, das zu 70 Prozent Wüste ist. Mangels anderer Energiequellen staut Kirgistan das Wasser im Sommer auf und entzieht den Staaten der Ebene damit die Grundlage für die von Bewässerung abhängige Landwirtschaft. Das ist immer wieder ein Auslöser für Konflikte.

Welche geopolitische Rolle spielt Kirgistan?

Südlich von Kirgistan liegen der Iran und Afghanistan. Der Westen betrachtet das Land als Bollwerk gegen islamistische Extremisten. Nahe der Hauptstadt Bischkek unterhalten die USA einen Militärstützpunkt, der für die Einsätze der US-Armee und der Nato-Truppen in Afghanistan von strategischer Bedeutung ist. Auch Russland verfügt über eine Militärbasis in Kirgistan. Beide Länder ringen um mehr Einfluss in Zentralasien. Eskaliert war die Situation im vergangenen Jahr. Damals gewährte Moskau Kirgistan Finanzhilfen in Höhe von zwei Milliarden Dollar. Mit dem Darlehen verlor Kirgistan, das schon zuvor bei Moskau hoch verschuldet war, faktisch die Souveränität. Im Gegenzug kündigte Bakijew die Schließung der US-Militärbasis Manas an. Erst nachdem Washington ebenfalls höhere Finanzhilfen zugesagt hatte, wurde dies zurückgenommen. Allerdings wird der Stützpunkt inzwischen von Kirgistan und den USA gemeinsam betrieben, dort dürfen nur noch Treibstoff und Versorgungsgüter, aber keine Truppen oder Waffen mehr umgeschlagen werden.

Mit Otunbajewa bekommt Washington nun womöglich eine zweite Chance. Denn auf sie hatten die USA bereits vergeblich gesetzt, als sie bei der „Tulpenrevolution“ die Fäden zogen: Von einem proamerikanischen Regime in Kirgistan erhofften sie sich einen außenpolitischen Kurswechsel in ganz Zentralasien. Der 2005 gestürzte Akajew vermutet als eigentliches Ziel der damaligen Revolution denn auch einen Machtwechsel in Kasachstan, dem die anderen Zentralasiaten inoffiziell den Status einer regionalen Führungsmacht zubilligen. Wem Kasachstan den Vorzug beim Zugriff auf seine umfangreichen Öl- und Gasvorkommen gibt – China, Russland oder der EU – ist daher auch für die Entscheidung der Nachbarn in diesem Bereich von Bedeutung.

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