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Überwachungskameras an der JVA Plötzensee in Berlin aus der in den vergangenen Wochen mehrere Insassen entflohen sind.

© Paul Zinken/dpa

Unsinnige Strafen: Kein Gefängnis für Schwarzfahrer und Ladendiebe!

Wer seine Geldstrafe für Bagatelldelikte nicht zahlt, kommt in Haft. Das ist teurer Irrsinn. Ein Gastkommentar.

Die Entweichung von neun Gefangenen hat Berlin vor ein paar Wochen beschäftigt und politische Forderungen bis hin zum Rücktritt des Justizsenators ausgelöst. Das könnte man als üblichen Reflex übergehen. Doch das würde dem Thema nicht gerecht.
Dass Gefangene aus den Justizvollzugsanstalten ausbrechen, ist in Berlin sehr selten geworden. Und auch der offene Vollzug – aus dem fünf der neun Ausbrecher entwichen sind – hat sich bewährt. Die Insassen des offenen Vollzugs sind so sorgsam ausgewählt, dass diese Erprobung verantwortet werden kann. Fast alle kommen regelmäßig in die Anstalt zurück. Und es gibt Gründe, anzunehmen, dass die Gefangenen umso eher zurückkehren, je weniger hoch man ihren Regelbruch öffentlich hängt.

200 Millionen Euro pro Jahr kostet es, Täter von Bagatelldelikten einzusperren

Von außen lässt sich schlecht beurteilen, welche Bedeutung die personelle Ausstattung der Justizvollzugsanstalt Plötzensee für die Ausbrüche hatte. Aber alle Bürger dieses Landes sollten noch gut in Erinnerung haben, wie mehr als 20 Jahre lang nach dem schlanken Staat, Kostenbremsen und schwarzen Nullen gerufen wurde. Können wir uns da wundern, wenn heute Bedienstete in Schulen und Gerichten, bei Polizei und im Justizvollzug fehlen? Im Übrigen lässt sich im zuletzt genannten der Personalschlüssel nicht nur durch das Aufstocken der Mitarbeiter, sondern auch durch Reduzierung der Gefangenenzahlen verbessern. Was gar nicht so schwierig wäre.
Denn: Ist es nicht ein gesellschaftspolitischer Skandal, dass wir Jahr für Jahr in Deutschland etwa 200 Millionen Euro ausgeben, um Menschen wegen Bagatellkriminalität einzusperren, die von Richtern zu Geldstrafen verurteilt wurden? Es geht nicht darum, zu leugnen, dass diese Menschen Unrecht getan haben. Ladendiebstahl und Schwarzfahren sind Gesetzesverstöße, wobei es durchaus sinnvoll ist, darüber nachzudenken, ob dies weiterhin Straftaten sein müssen oder ob es nicht genügt, sie als Ordnungswidrigkeiten zu definieren. Der Gesetzgeber hat immer wieder betont, dass kurze Freiheitsstrafen unsinnig sind und vermieden werden sollten – und in allen Fällen der Ersatzfreiheitsstrafen haben die Richter zu einer Geldstrafe verurteilt. Dennoch werden zehn Prozent der Strafvollzugshaftplätze mit solchen Gefangenen belegt: etwa 4000 in ganz Deutschland und 300 in Berlin. Wer einige der Menschen kennt, die in jedem Jahr zu Geldstrafen verurteilt werden und dann in Haft müssen, dem ist klar, dass diese Menschen ihre Strafe nicht zahlen können. Allein ihre Armut, manchmal gepaart mit einem Suchtproblem oder Verschuldung, manchmal auch mit Wohnungslosigkeit, bringt sie in das Gefängnis, wo ihre Probleme selbstverständlich auch nicht gelöst werden.

Sozial konstruktive Lösungen könnten die Inhaftierten aus ihrer Notlage befreien

Könnte man nicht diese 200 Millionen im Jahr bundesweit sinnvoller einsetzen, zur Resozialisierung der Täter und für gesellschaftlich sinnvolle Arbeiten? Zahlreiche Verfahrensweisen und Modelle sind erprobt, und Berlin ist diesbezüglich durchaus innovativ. Sollte man nicht die Berliner Kriminalpolitik in Richtung sozial konstruktiver Lösungen drängen, anstatt mit symbolischer Politik und Ritualen Polemiken zu produzieren, die nichts zur Klärung beitragen? Könnten wir die jetzige Aufmerksamkeit für Hunderte Personen, die wegen Bagatellkriminalität in Haft sitzen, nicht dazu nutzen, in einen gesellschaftlichen Dialog über Alternativen zu treten?
Fachlich sind die Mittel und Wege da, um die zu Geldstrafen verurteilten Personen, die ihre Strafen nicht bezahlen können, sinnvoll gemeinnützig arbeiten zu lassen und über ihre schwierige Lebenslage zu beraten. Die Fachkräfte der Sozialen Arbeit, Sozialen Dienste der Justiz und Freien Träger der Straffälligenhilfe können das organisieren. Das könnte die inhaftierten Bagatelltäter aus ihrer Notlage befreien, dem Land viel Geld sparen und den Strafvollzug entlasten. Sie in Haft zu lassen, hilft dagegen nichts und niemandem.

Der Autor ist Professor für Jugendrecht, Strafrecht und Kriminologie an der Alice Salomon Hochschule Berlin und war lange Zeit Präsident des Fachverbandes für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik.

Heinz Cornel

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