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Politik: Unter Aufsicht

Nach der Machtübergabe bleiben 150 US-Mitarbeiter in den irakischen Ministerien – als Kontrolleure

Die Iraker wollen sich selbst regieren, können es aber nicht. Die Amerikaner wollen ihre Truppen abziehen, dürfen es aber nicht. Die Situation im Irak bleibt vertrackt, auch nach dem Machttransfer. Denn faktisch wird sich nicht viel ändern. Der neue US-Botschafter im Irak, John Negroponte, wird ähnliche Funktionen ausüben wie Ex-Zivilverwalter Paul Bremer sie hatte, obgleich wesentlich diskreter. Die neue Botschaft ist mit 3300 Angestellten – 1300 Amerikaner und 2000 Iraker – die größte Außenstelle der USA. Noch wird darum gestritten, wem die Residenz, einer der ehemaligen Paläste von Saddam Hussein, gehört.

Um die neuen irakischen Ministerien auch weiterhin kontrollieren zu können, sind diese von der Zivilverwaltung mit einem dichten Netz von „Beobachtern“ gewissermaßen infiltriert worden. Rund 150 solcher Kontrolleure bleiben trotz des Machttransfers an ihren Schreibtischen im Präsidentenpalast sitzen. Zusätzlich wurden diverse „Kommissionen“ geschaffen, die den Ministerien eine Reihe von Befugnissen entziehen. Diesen subtilen Prozess, einen Großteil der Herrschaft weiter auszuüben, ohne dies zugeben zu müssen, hatte vor sechs Wochen bereits das „Wall Street Journal“ enthüllt. Die Strippen allerdings, so verdeutlichte die Zeitung, werden diesmal nicht im Pentagon gezogen, sondern im Außenministerium.

In Amerika hat sich die Stimmung ernüchtert. Selbst US-Soldaten, die einst mit dem Wunsch in den Krieg gezogen waren, ein Land zu befreien, empfinden keine Freude mehr an ihrer Arbeit. „Als wir hier ankamen, sympathisierte ich mit den Irakern“, erzählt ein junger Soldat, der jeden Tag der Besetzung miterlebt hat, dem Magazin „The New Yorker“. „Aber jetzt bin ich kalt. Wenn einige deiner Freunde getötet wurden, und du kamst hierher, um diesen Menschen zu helfen – das verändert dich.“ Eine Mehrheit der Amerikaner ist inzwischen der Ansicht, der Krieg sei falsch gewesen.

Die Gegenseite empfindet ähnlich. Nur zwei Prozent der Iraker betrachten die Amerikaner als Befreier, ebenfalls nur zwei Prozent haben großes Vertrauen in die Koalitionsstreitmacht, rund achtzig Prozent vertrauen ihr gar nicht. Und mehr als die Hälfte meinen, die Misshandlungen im Gefängnis Abu Ghraib seien typisch für die Amerikaner. Die Umfrage war von Bremer in Auftrag gegeben worden. Weniger widersprüchlich als signifikant ist ein anderes Ergebnis: Nur eine Minderheit der Iraker will, dass die Besatzer sofort abziehen. Die Angst vor dem Chaos ist größer als die Abneigung. An diesen Daten wird der Machttransfer wenig ändern. Die US-Armee bleibt auf absehbare Zeit im Land und übt faktisch die Macht aus. Verringern wird sich die Zahl von rund 140 000 Soldaten vorerst nicht. Jetzt mussten sogar 6000 Ex-Soldaten als Reservisten eingezogen werden. Die Personaldecke ist dünn.

Die Aufgaben im Irak wiederum sind schwieriger geworden. Der Kampf gegen die Aufständischen muss weitergeführt werden. Doch zum einen haben die USA sich verpflichtet, gewisse Operationen nur nach Konsultation mit der irakischen Führung zu unternehmen, zum anderen soll die US-Armee in der Öffentlichkeit „weniger präsent“ sein. Die irakischen Sicherheitskräfte sollen das Gefühl vermittelt bekommen, für ihr Land und nicht für eine fremde Besatzungsarmee zu kämpfen. Die psychologische Wirkung des Machttransfers wird als wichtiger eingeschätzt als dessen reale Bedeutung.

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