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Politik: Unverschleierte Ansichten

Großbritannien streitet über die Einladung eines ägyptischen Geistlichen zu einer Islamkonferenz

Die britische Boulevardpresse griff wieder einmal zu drastischen Worten: „Das Böse ist gelandet“ schrieb die „Sun“ über die Ankunft von Professor Jusuf al Qaradawi. Doch wenige Stunden später wurde der 78-jährige ägyptische Geistliche von Bürgermeister Ken Livingstone in der Londoner Stadthalle als „hochgeehrter Gast“ begrüßt. Eigentlich wollte al Qaradawis in Großbritannien nur für den Hijab werben, den islamischen Schleier. Am Montag nimmt er an der Gründungskonferenz der neuen, europaweiten „Prohijab“- Bewegung teil, die sich für das Recht muslimischer Frauen zum Tragen des Schleiers einsetzt.

Grundsätzlich gibt sich Großbritannien in Sachen Kopftuch liberal. Zwar verlor die Schülerin Schabina Begum ihren Prozess gegen ihre Gesamtschule in Luton, die ihr das Tragen eines bodenlangen Schleiers verboten hatte. Doch die Schule erlaubt muslimischen Schülerinnen immerhin, als Schuluniform eine Art knielanges Hemd (Schalwar Kamees) über Hosen oder Röcken zu tragen. In vielen anderen Schulen ist auch der Ganzkörperschleier selbstverständlich.

Al Qaradawi wirbt aber nicht nur für den Hijab. Er vertritt auch die Auffassung, moslemische Männer dürften ihre Frauen schlagen – so lange nicht das „Gesicht und empfindsame Teile“ getroffen würden. Londons Schwulenszene hat er gegen sich aufgebracht, weil er die Hinrichtung von Homosexuellen unterstützte.

Seine Kritiker werfen al Qaradawi aber vor allem vor, dass er offen Selbstmordattentate befürwortet. „Allah ist gerecht – in seiner grenzenlosen Weisheit hat er den Schwachen gegeben, was die Starken nicht haben. Nämlich die Möglichkeit, ihre Körper in Bomben zu verwandeln, wie es die Palästinenser tun", sagte al Qaradawi in einem BBC-Interview und bezog sich dabei auch auf den Irak.

Der 78-jährige ist ein geistlicher Führer der ägyptischen Muslimbruderschaft, die für mehrere Terroranschläge in Ägypten verantwortlich ist. In den USA hat er Einreiseverbot. Scotland Yard kam jedoch zu dem Schluss, dass al Qaradwi in Großbritannien kein Sicherheitsrisiko darstellt und ließ ihn einreisen. Innenminister David Blunkett will nun jedes Wort des Klerikers während seines Aufenthalts überprüfen lassen.

„Er empfiehlt Selbstmordanschläge nicht, er erklärt sie“, verteidigte Assam Tamimi vom britischen Muslimverband MAB die Einladung des Klerikers. „Er will britische Muslime ermutigen, sich in die Gesellschaft zu integrieren.“ Die pro-israelische Labourabgeordnete Louise Ellmann und auch der konservative Oppositionsführer Michael Howard fordern dagegen, al Qaradawi auszuweisen.

Doch die aktuelle Islamkontroverse reicht über den Streit um den Kleriker hinaus. Wie in anderen Staaten geht es auch in Großbritannien um die Schwierigkeiten einer liberalen westlichen Gesellschaft im Umgang mit ihren muslimischen Immigranten. Der frühere Erzbischof von Canterbury, Lord Carey, hatte erst kürzlich moderaten Muslimen vorgeworfen, nicht klar genug gegen Selbstmordattentate Stellung zu beziehen. Er vermisse die offene Debatte in der muslimischen Welt. Erklärungen selbst ernannter Autoritäten würden oft kritiklos akzeptiert, sagte Carey. Innenminister Blunkett versucht indes in einem neuen Anlauf, „religiösen Hass“ zum gesetzlichen Straftatbestand zu machen. Ein erster Vorstoß wurde vom Oberhaus blockiert – aus Sorge um die Redefreiheit.

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