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US-Geschichte: Jeffersons Freiheit

Barack Obama könnte der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden. Gibt es historische Wahlhilfe für Obama? Amerikas großer Gründervater war mit einer Sklavin liiert.

But even the President of the United States
sometimes must have to stand naked.

Bob Dylan

In einem Land wie Amerika, in dem fast alles überlebensgroß erscheint, strahlen auch die Helden heller. Sie sind aus einem Material gemacht, so fest und ätherisch zugleich, dass nichts mehr sie umzustoßen vermag, stehen sie erst einmal auf dem Sockel. Am Mythos eines Thomas Jefferson, eines John F. Kennedy perlt die Geschichte selbst mit all ihren Irrtümern, Revisionen und Umformungen ab.

Lange war die Sehnsucht nach einer a priori historischen Überidentifikationsfigur nicht mehr so mächtig wie in diesen Tagen. Barack Obama, der auratische Senator aus Chicago, besitzt jetzt schon diese seltsame präsidentiale Eigenschaft, gegen Attacken immun zu sein. Er verkörpert ein neues Freiheitsversprechen, dessen Wurzeln tief in der amerikanischen Gründerzeit vergraben sind.

Das weite Land braucht, wenn es nicht diktatorisch zusammengehalten wird wie China oder Russland, nicht nur unbestrittene Helden, sondern auch eine große Idee. Dies ist in den USA, trotz 9/11 und der katastrophalen innen- und außenpolitischen Degradierung, immer noch die Freiheit; Nationalismus allein reicht nicht mehr aus. Kaum ein weltlicher Baumeister hat je ein so gewaltiges und erfolgreiches Ideengebäude entworfen wie Jefferson, der Architekt der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, die vom Freiheitsgedanken durchdrungen ist. Und darin liegt die nun plötzlich von Amerika doch wieder ausgehende Faszination begründet. Die Wende ist zum Greifen nah.

Gegen Obamas change steht John McCains ausgrenzendes country first. Offenheit gegen Festung. Eine überwältigende Mehrheit der Deutschen und der Europäer wünscht sich einen Sieg von Barack Obama. Leicht zu erklären: Wir träumen von einem Präsidenten, dessen Politik mit unserer Vorstellung von Freiheit und Demokratie übereinstimmt.

Bushs Amerika hat uns in den vergangenen sieben Jahren das Fürchten gelehrt. Die Welt ist abgestoßen von einem neoamerikanischen Freiheitsbegriff, der weder ethische noch ökonomische, weder klimapolitische noch militärische Rücksicht kennt und der dem Terrorismus, den er mit allen Mitteln bekämpft, teuflisch ähnlich geworden ist.

Dieser fast schon globale US-Wahlkampf ist ein Kulturkampf. Wie man Freiheit versteht und verteidigt. Wie sie verraten wurde und verkauft – und zurückerobert werden kann. Freiheit wird zum Schlüsselwort in dem Moment, da zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten ein Schwarzer Präsident werden kann. Dahinter steht der Traum von einer postrassistischen Gesellschaft, von einer USA, die noch einmal ein Weltmodell sein könnte. Denn wirklich mächtig war das Land immer nur, wenn es seine Vorbildfunktion behaupten konnte. Eine Demokratie kann kein Schurkenstaat sein, das hält sie nicht lange durch.

Ein „schwarzer Kennedy“? JFK war der Ché Guevara des Nordens. Ein Riesenidol, ein Hoffnungsträger ohnegleichen, auch wenn der Sieg 1960 gegen Richard Nixon verschoben und gekauft war. In Dallas wurde er zum Märtyrer. „He was a friend of mine“, hieß ein Popsong der Sechziger. Der Obama-Kennedy-Vergleich ist in vielerlei Hinsicht gefährlich und nicht nur schmeichelhaft. Ein schwarzer Kandidat könnte sich nie die Mafia-Methoden des Kennedy-Clans erlauben. Seine Weste muss weißer sein als die eines jedweden weißen Gegners.

Mit der Wahl Obamas könnte sich ein historischer Kreis schließen, der über zwei Jahrhunderte umfasst – und die Grundlagen der amerikanischen Geschichte, Gesellschaft und Verfassung. Wen meinte Thomas Jefferson, der legendäre 3. Präsident der USA, als er von Freiheit sprach? War er ein Prophet, der seine Worte in eine ferne Zukunft richtete? Oder dachte er, der ein fein gebildeter Geist und stark von der Aufklärung geprägt war, der Jahre als Diplomat in Paris verbracht und die italienische Kultur studiert hatte, allein an die Freiheit und das Glück des weißen Mannes?

Das Gegenteil von Freiheit ist Sklaverei. Jefferson (1743 – 1826) zählte in Virginia – heute einer der Battleground-Staaten – zu den größten Sklavenhaltern. Nichts Ungewöhnliches zu der Zeit. Über seine Einstellung zur Sklaverei lässt sich wohl nur Widersprüchliches sagen. Er dachte über ihre Abschaffung nach, scheute den Grundsatzkonflikt und schwieg im Wesentlichen über das drückende Problem, das um 1800 in den blutjungen USA mindestens so virulent gewesen sein muss wie heute die Frage von Abtreibung, Waffenbesitz und Todesstrafe. „American Sphinx“, so nannte der Historiker Joseph J. Ellis seine vor zehn Jahren erschienene große Jefferson-Biografie. Aber auch er schummelte sich, wie so viele Historiker und Biografen vor ihm, um den entscheidenden Punkt herum – Thomas Jeffersons Beziehung zu Sally Hemings, einer Sklavin.

Jefferson, der Prototyp des Freiheitspräsidenten. Über sechseinhalb Meter ragt die Statue des Gründervaters im Jefferson Memorial in Washington auf. Ein Tempel für einen Mann, der wie kein Zweiter die Widersprüche der Nation in sich trägt. Bis heute ein Tabu: Ob und wie viele Kinder Jefferson mit der Leibeigenen Sally Hemings gezeugt hat.

Im 19. Jahrhundert flammten Spekulationen über diese Beziehung auf, die sich über eine lange Zeit, Jahrzehnte möglicherweise, hinzog. Sechs Kinder von Jefferson könnten es gewesen sein, und alle sollen ihm recht ähnlich gesehen haben. Monticello in Virginia, dieser so europäisch anmutende Herrschaftssitz, eine Fassade für Sünden, Lügen, Bigotterie? Thomas Jefferson der Liebhaber einer Unfreien, die sehr attraktiv und auch nicht sehr schwarz gewesen sein soll? Ihr Großvater war Engländer, ein gewisser Captain Hemings. Das weckt Assoziationen zu Barack Obamas auch nicht eben einfacher Familiengeschichte.

Ein Artikel der Harvard-Historikern Jill Lepore im „New Yorker“ (President Tom’s Cabin) schlägt Schneisen durch das Gewirr der neueren Jefferson-Literatur. Lepore spricht von der Möglichkeit der Liebe zwischen Jefferson und Sally. Und von dem Skandal, wie das alles ignoriert und wegerklärt wurde. Selbst DNA-Analysen der Nachkommen brachten wenig Licht in das absichtsvolle Dunkel, das Jeffersons Intimleben umgibt.

Sein ganz persönlicher pursuit of happiness: Sie war 16, er 46, als die Sache begann, um die Amerikas Öffentlichkeit bis heute einen großen Bogen macht. So wie sich die Spur der Jefferson-Hemings-Kinder nach dem Erreichen des 21. Lebensjahres verliert. Wahrscheinlich hat der große Mann sie freigelassen.

Die Amerikaner haben die Sklaverei später als die Europäer abgeschafft , und sie stürzten darüber in einen desaströsen Bürgerkrieg. Noch hundert Jahre nach Abraham Lincoln, der einem fanatisch rassistischen Attentäter zum Opfer fiel, gab es in den USA Rassentrennung.

Jefferson hat sich an einer Farben-Rassenlehre abgearbeitet, mit der er den Grad des Schwarz- und Sklavenseins von Kindern aus solchen Mesalliancen bestimmen wollte. Das am Ende doch eher glückliche Schicksal seines eigenen Fleisches und Blutes zeigt die ganze Absurdität dieser First-Family-Geschichte: Einige der Jefferson-Hemings-Kinder gingen offenbar dank ihrer nicht so dunklen Hautfarbe als Weiße durch.

Mit der amerikanischen Leidenschaft für Genealogie lässt sich das Urahnen- Mendeln auf die Spitze treiben. Barack Obama und Vizepräsident Dick Cheney sind – kein Scherz! – Cousins achten Grades, was auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgeht, der im 17. Jahrhundert aus Frankreich nach Amerika auswanderte. Auch John McCain hat ein kleines Sklavenproblem. Sein Ur-Ur-Großvater besaß Plantagen in Mississippi. Eine Nachfahrin seiner Sklaven trägt zwar den Namen des republikanischen Kandidaten, aber Lillie McCain wählt Obama.

Das ist die anekdotische Seite der alles entscheidenden Frage: Wählt Amerika einen Schwarzen, ist er seinem Gegner überlegen genug, um aus dem allerletzten Schattenkreis von Sklaverei und Rassismus heraus zu springen? Der Weg von Jefferson zu Obama ist kürzer und logischer, als man denkt. Ein amerikanischer Held – größer als die Realität – ist Obama schon jetzt. Nur noch lange nicht Präsident.

Sarah Palin sagte in Florida, Obama sei keiner von uns („he is not one of us“). Schwarze Kongressabgeordnete haben diesen Angriff als rassistisch empfunden. Wie auch sonst: McCains Vize-Kandidatin versucht, mit kodierten Horrorbotschaften Angst und Schrecken zu verbreiten. Angst vor einem „Sozialisten“, vor einem „Muslim“ (Obama-Osama), vor einer schwarzen Familie im Weißen Haus. Wählt eine Mehrheit am Ende doch lieber White Trash aus Alaska?

Rassismus, auch wenn er im Schwinden begriffen sein sollte, lässt sich nicht messen. Das ist das Problem.

Rüdiger Schaper

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