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Politik: US-Raketenabwehr: "Die EU entwickelt sich mit Lichtgeschwindigkeit" meint Javier Solana im Interview

Javier Solana, der heute seinen 58. Geburtstag feiert, ist der erste Beauftragter der EU für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.

Javier Solana, der heute seinen 58. Geburtstag feiert, ist der erste Beauftragter der EU für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Zuvor war der spanische Sozialist Nato-Generalsekretär und führte die Allianz im Kosovo in ihren ersten Krieg.

Vor neun Monaten wurden Sie zum ersten Beauftragten der EU für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (Gasp) berufen. Was hat sich seither getan?

In der Außenpolitik wurden gemeinsame Strategien gegenüber Russland, der Ukraine, dem Balkan und dem Mittelmeerraum festgelegt. Natürlich gehört auch die Erweiterungspolitik, die im Dezember in Helsinki beschlossen wurde, zur Stabilisierung unseres Kontinents. In der Sicherheitspolitik haben wir historische Entscheidungen getroffen. Gemessen am früheren Tempo der EU kann man fast von Lichtgeschwindigkeit sprechen. Die EU nimmt das Krisenmanagement in die Hand und baut bis 2003 eine schnelle Eingreiftruppe von 60 000 Mann auf, die nach zwei Monaten Vorwarnzeit entsandt werden und ein Jahr lang im Krisengebiet stationiert bleiben kann: in Kooperation mit der Nato oder allein. Dies ist nach der Währungsunion und neben der Erweiterung die bedeutendste Entwicklung der EU. Sie gewinnt in der internationalen Politik ein Gewicht, das ihrer Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft entspricht - und nach der Erweiterung könnte das heißen: Viermal so viel Bürger wie Japan und doppelt so viele wie die USA.

Gerade war der fünfte Jahrestag der Tragödie von Srebrenica, der Moslem-Enklave in Bosnien, die die Serben unter den Augen von UN-Soldaten 1995 stürmten. Wird die von Ihnen skizzierte Union in der Lage sein, so etwas zu verhindern, auch ohne die Hilfe der USA?

Das ist die Herausforderung. Das hängt natürlich auch vom Ausmaß einer solchen Krise ab. Das erste Ziel dieser Eingreiftruppe ist, wie bei jeder militärischen Kapazität, die Abschreckung, die ihren Einsatz überflüssig macht.

Durch eine Verfassungsänderung versucht Jugoslawiens Präsident Milosevic, zwei weitere Amtszeiten an der Macht zu bleiben. Das verschärft die Spannungen mit dem Teilstaat Montenegro. Droht der nächste Krieg?

Ich hoffe, dass es nicht zur Konfrontation kommt. Das kluge Verhalten des montenegrinischen Präsidenten Djukanovic kann ich nur loben.

Könnte die Erfahrung der Nato-Luftangriffe im Kosovo Milosevic abschrecken?

Das ist schwer zu sagen. Er denkt und reagiert ganz anders als wir.

Kurz nach Ihrem Amtsantritt im November sagten Sie uns, als Erstes wollten Sie einen Stab aufbauen, der in Krisen rasch und effizient entscheidet. Wie weit sind Sie damit?

Der Stab arbeitet längst. Er hat ein Frühwarnsystem eingerichtet und erstellt politische Analysen. Das neue Sicherheitspolitische Komitee trifft sich zumindest einmal pro Woche. Wir können jederzeit auf Krisen reagieren und haben auch die ersten militärischen Mitarbeiter, die Einsätze planen und in Zukunft Handlungsoptionen vorschlagen können.

Nicht alle EU-Staaten sind Nato-Partner und umgekehrt. Die Türkei etwa, die der Nato angehört, aber noch lange nicht der EU, ist nicht glücklich, dass diese EU Nato-Ressourcen nutzen will. Führt das zu Spannungen?

Krisenmanagement in Europa liegt nicht nur in der Verantwortung der EU. Deshalb gibt es eine Kooperation mit Nicht-EU-Staaten und festgelegte Absprache-Mechanismen. Die eigentlichen Entscheidungen, was die EU tut, können aber nur die EU-Staaten alleine treffen.

Wie beurteilen Sie die Bundeswehrreform? Wird Deutschland seine Verpflichtungen beim Aufbau der EU-Eingreiftruppe erfüllen?

Zweifellos. Das wird ein entscheidender Beitrag sein. Die Bundesregierung hat einen Anteil von 20 000 Mann an der schnellen Eingreiftruppe versprochen. Ein deutscher General hat bereits den Friedenseinsatz in Kosovo kommandiert. Deutschland ist ein Grundpfeiler des Krisenmanagements.

Der Aufbau dieser Truppe verlangt hohe Investitionen in die Ausrüstung und den Lufttransport. Geht das mit den Wehretats, die überall eingefroren werden oder gar sinken?

Anders als bei der Währungsunion haben wir uns bei der Verteidigungspolitik und den Budgets nicht für Konvergenzkriterien entschieden. Wir haben das Ziel definiert, die Größe der Truppe und die Anforderungen. Manche Länder müssen ihre Streitkräfte noch entsprechend reformieren. Deutschland ist ein Beispiel, wie man sich an die neuen Aufgaben anpasst: mehr Krisenmanagement, weniger Territorialverteidigung. Ob man dafür höhere Wehretats braucht, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass alle Staaten sich verpflichtet haben, ihren Beitrag zu leisten, damit wir unser Ziel erreichen. Jedes Land muss selbst wissen, ob es dafür mehr Geld einplanen muss.

Beim Dezember-Gipfel in Nizza will die EU die institutionelle Reform verabschieden, darunter den Übergang zu Mehrheitsentscheidungen. Was wäre die Konsequenz für die Gasp, wenn das nicht gelingt?

Die Reform soll die EU fähig zur Erweiterung machen. In der Gasp gilt das Konsensprinzip. Die Grundsatzentscheidungen, etwa über die Russland-Strategie müssen einstimmig fallen. Die Details der Umsetzung kann man eventuell mit qualifizierter Mehrheit entscheiden.

Muss in einer EU mit 27 Mitgliedern nicht auch in der Außen- und Sicherheitspolitik die Mehrheitsentscheidung zur Regel werden?

Ja. Das muss die Tendenz sein. Allerdings ist die Sicherheitspolitik viel enger mit der nationalen Souveränität verbunden als der gemeinsame Markt. Man kann keinen Staat per Mehrheitsbeschluss zwingen, Soldaten für einen Kriseneinsatz zu entsenden.

Der diplomatische Boykott Österreichs ist kein EU-Beschluss. Aber die bilaterale Maßnahme basiert auf einem Konsens der 14 EU-Partner. War das eine gute Idee oder eine Erfahrung, die man besser nicht wiederholt?

Dazu sollte ich nicht Stellung nehmen, denn das war ein Beschluss der nationalen Regierungen. Ich vertrete keinen Staat. Aber ich hoffe, dass die Wiederholung nicht nötig wird, weil ich hoffe, dass eine Situation wie in Österreich nicht wieder eintritt.

Kann man das Problem noch in diesem Jahr unter französischer Präsidentschaft lösen?

Nach meinem Gefühl: Ja. Die Beobachtung durch drei Weise wird allgemein akzeptiert.

Der jüngste Test für die US-Raketenabwehr ist gescheitert. Ist das eine Erleichterung für Europa, weil hier viele das Projekt ablehnen?

Zunächst hat sich der Druck, rasch eine Entscheidung zu treffen, verringert. Eine der vier Bedingungen, die technische Machbarkeit, ist derzeit nicht erfüllt. Das wird der Präsident zu berücksichtigen haben.

Auch die Bedrohung durch sogenannte "Schurkenstaaten" ändert sich. In Korea stehen die Zeichen plötzlich auf Versöhnung. Und der Iran ist nach dem Deutschland-Besuch Präsident Chatamis auf dem Weg, wieder zu einem Geschäftspartner zu werden.

Diese Entwicklung ist ermutigend, aber man muss vorsichtig sein und beobachten, was sich in der Substanz ändert. Zusammen mit den technischen Problemen legt das aber nahe, das Projekt Raketenabwehr etwas ruhiger anzugehen.

Vor neun Monaten wurden Sie zum ersten Beauftragte

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