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Politik: US-Wahlkrimi: ABM-Programm für Jura-Professoren

Amerikas Nachrichtensender kommen gar nicht mehr dazu, Nachrichten zu verbreiten. Am Dienstag lasen die Anchormen von CNN, Fox News und MSNBC vor allem die knappen Verlautbarungen vor, deren holpriges Juristen-Englisch von den Anwaltskanzleien der beiden Präsidentschaftskandidaten ausgesandt wurde.

Amerikas Nachrichtensender kommen gar nicht mehr dazu, Nachrichten zu verbreiten. Am Dienstag lasen die Anchormen von CNN, Fox News und MSNBC vor allem die knappen Verlautbarungen vor, deren holpriges Juristen-Englisch von den Anwaltskanzleien der beiden Präsidentschaftskandidaten ausgesandt wurde. Was das alles bedeutet, wo genau welches Verfahren steht, und inwieweit sich die diversen Zwischenurteile widersprechen, das versteht kaum noch einer in den USA.

Dienstagnachmittag hatte ein Landesrichter in Florida entschieden, dass die Übersendung der Landkreis-Wahlergebnisse zur Verifikation durch die Zentrale tatsächlich bis 17 Uhr Ortszeit erfolgt sein muss. Die Frist von einer Woche, gemessen vom eigentlichen Wahlzeitpunkt an, steht im Landesgesetz. Der Richterspruch wurde als Sieg für das Bush-Lager bewertet. Bush will rasch zum Ergebnis kommen, Gore so lange nachzählen lassen, bis der seiner Ansicht nach zutreffende Wählerwillen sich manifestiert.

Die demokratischen Landkreise, die auf Bestreben Gores nach der maschinellen Nachzählung eine manuelle Nachzählung begannen, legten sofort Widerspruch ein. Sie machten geltend, dass sie unmöglich bis Dienstagabend fertigwerden konnten. Die Bestätigung der 17-Uhr-Frist war zugleich ein Sieg für die republikanische "Secretary of State" im Bundesstaat Florida, eine Art Geschäftsführerin der Landesangelegenheiten. Ergebnisse, die nach 17 Uhr Ortszeit am Dienstag eingingen, "dürfen ignoriert werden" - so steht es in den Landesgesetzen. Sie "dürfen", müssen aber nicht. Der Richter bestätigte die Gesetzeslage und die Tatsache, dass die Landesgeschäftsführerin einen Ermessensspielraum hat. Florida darf also Gore-freundliche Handnachzähl-Kreise ignorieren - allerdings nicht willkürlich. Deshalb hat Gores Team auch gleich angekündigt, die Republikanerin wegen falscher Auslegung ihres Ermessensspielraums zu belangen, falls sie verspätet eingehende Wahlergebnisse tatsächlich ignoriert.

So gab es am Dienstag im Stellvertreterkrieg zwischen der Republikanerin und dem demokratischen Justizminister des Landes klare Vorteile für das Bush-Lager. Gore ließ sofort kontern, indem er Berufung ankündigte. Eigentlich müsste die vor einer zweiten Instanz erfolgen, doch die Demokraten waren zuversichtlich, diese auslassen und sofort vor den Obersten Gerichtshof Floridas ziehen zu können. Es sei "nicht wahrscheinlich, dass es heute noch geschieht", meinte ein Gerichtssprecher über die Wahrscheinlichkeit, dass der Oberste Landesgerichtshof per Eilverfügung die Umsetzung der 17-Uhr-Frist stoppen würde. Hiergegen könnte dann noch vor einer vierten Instanz, dem Obersten Gerichtshof des Bundes, vorgegangen werden.

Das Gerangel um den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Wahlergebnisses hat einen Haken. Die Briefwahl ist die unbestrittene Ausnahme aller Dienstags-Fristen. Dennoch rannten den ganzen Nachmittag über hunderte Reporter zwischen den angrenzenden Gebäuden von Gericht und Obergericht hin und her, um festzustellen, wer wann welchen Eilantrag gestellt hat.

In weiteren Nachrichten von der juristischen Front erklärten sich nicht weniger als fünf Richter in Palm Beach County für befangen und lehnten deshalb die Verhandlung der Beschwerden von Bürgern wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentschaftswahl ab. Palm Beach County hatte jene umstrittenen Stanzkarten benutzt, die im Amerikanischen "chad" heißen.

Klar ist, dass das Nachwahl-Chaos ein hochkarätiges Arbeitsbeschaffungsprogramm für Jura-Professoren der Harvard-Universität geworden ist. Beide Seiten haben sich mit honorigen Namen aus Massachusetts eingedeckt. Unstrittig ist auch, dass beide Seiten behaupten, alles drehe sich allein um das Wohl des Volkes und das Umsetzen des Wählerwillens. "Es geht hier doch nicht um mich", drückte Al Gore diesen kühnen Gedanken aus. "Es geht um die Integrität unserer Demokratie."

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