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USA: Im Zweifel lieber sicher

Ein Besucher, der acht Jahre lang nicht in den USA war, würde das Land nicht wiedererkennen. Sieben Jahre nach dem Terrorangriff von 9/11 werden die Einschränkungen der Freiheit in den USA nur zögerlich korrigiert.

Bei der Einreise aus dem Ausland werden die Fingerabdrücke unbescholtener Menschen genommen. Auch wer nur innerhalb Amerikas fliegt, muss bei der Sicherheitskontrolle die Schuhe ausziehen. Selbst an Museumseingängen stehen Metalldetektoren und werden Taschen durchwühlt.

Vor dem Terrorangriff vom 11. September 2001 galten die USA als Land der unbegrenzten Freiheit. Das ist Geschichte. Doch den meisten Bürgern scheint das nichts auszumachen. Sie fügen sich ohne Murren. Parlamente und Gerichte korrigieren die Sicherheitsmaßnahmen, die damals unter dem Eindruck der tödlichen Gefahr und in der Angst vor einem weiteren Anschlag verhängt wurden, nur zögerlich. Das gilt selbst für Vorkehrungen, die im Rückblick übertrieben oder gar rechtlich fragwürdig erscheinen.

George W. Bush hatte seine präsidialen Vollmachten damals großzügig interpretiert und zum Beispiel Telefonabhöraktionen gegen Terrorverdächtige auch ohne richterliche Genehmigung angeordnet. Fast alle Telefongesellschaften des Landes beugten sich trotz juristischer Bedenken. Vor wenigen Tagen hatte der Kongress über eine Novelle des sogenannten Foreign Intelligence Surveillance Act (Fisa) zu entscheiden. Es wäre eine Gelegenheit gewesen, den Konzernen die Strafbarkeit ihres Mitläufertums klarzumachen – schon um der Wiederholung vorzubeugen. Doch die Mehrheit der Abgeordneten und Senatoren stimmte für die Immunität der Telefongesellschaften, darunter viele Demokraten samt ihrem Präsidentschaftskandidaten Barack Obama.

Das ist bezeichnend für die Stimmung im Land. Es hat sieben Jahre keinen neuen Anschlag in den USA gegeben, aber die Sicherheit vor Terror behält oberste Priorität für die Bürger. Ob dabei die individuellen Rechte Dritter zu Schaden kommen, ist für die meisten zweitrangig. Die Mehrheit meint, dass ihre Regierung und die Geheimdienste alles in allem verhältnismäßig agieren. Vor allem glauben sie, dass die Eingriffe sie persönlich nicht treffen werden. Wer von ihnen hat schon verdächtige Kontakte in die islamische Welt? Sie selbst leiden auch nicht unter der Rechtlosigkeit in Guantanamo.

Das rechtliche Fundament der Terrorabwehr war der „Patriot Act“, den der Kongress Ende Oktober 2001 frisch unter dem Eindruck von 9/11 verabschiedete. Er senkte die Hürden für die staatliche Überwachung von Telefonaten, E-Mails, Überweisungen und vielen weiteren persönlichen Informationen. Polizei, Justiz und Geheimdienste bekamen neue Vollmachten, verdächtige Ausländer abzuweisen, einzusperren oder zu deportieren. Abgeordnete und Senatoren beider Parteien stimmten in überwältigender Mehrheit für die Einschränkung der Freiheiten. Allerdings galt und gilt der Patriot Act nur befristet, zunächst bis 2005. Auch dann bekam Bush keine Mehrheit für seinen Wunsch, dass das Maßnahmenbündel dauerhaft gilt. Es gilt nun bis 2009.

In einem wichtigen Punkt unterscheiden sich die USA von Deutschland. Es gibt hier kein Meldesystem, in dem die in- wie ausländischen Einwohner mit Wohnort registriert sind. Das ist eines der Argumente, mit dem Fachleute begründen, warum Amerika andere Mittel einsetzen müsse, um den Überblick zu behalten.

In der Praxis war die Handhabung der Abwehrmaßnahmen wohl noch bedenklicher als die beschlossenen Vorkehrungen. Die Bush-Regierung interpretierte den Patriot Act so, dass sie die geltenden „checks and balances“ von Demokratie, Rechtsstaat und Gewaltenteilung außer Kraft setzen dürfe. In normalen Zeiten muss ein Richter das Abhören Verdächtiger oder andere Eingriffe in die Privatsphäre genehmigen. Selbst viele Geheimdienstaktionen bedürfen der Erlaubnis durch ein – geheim tagendes – Überwachungsgericht. Bush setzte diese Kontrollen außer Kraft. Das erleichterte den Missbrauch der neuen Vollmachten.

Erst nach und nach sind die Übergriffe bekannt geworden, verstärkt seit 2005 und vor allem dank der Recherche findiger Medien. Sie stützten sich auf Informationen von Mitarbeitern der Geheimdienste, Ministerien oder Telefonkonzerne, die selbst Gewissensbisse bekamen. Auch die Gerichte haben seither wiederholt gegen Bushs Machtanmaßung geurteilt, sie gaben den Guantanamo-Gefangenen manche Rechte zurück und rehabilitierten Menschen, die zu Unrecht in die Mühlen geraten waren.

Zwei Lehren drängen sich auf: Wenn Parlamente den Aktionsradius der Überwacher wegen der Terrorgefahr erweitern, müssen sie im selben Maße die Kontrolle der Überwacher stärken, um Missbrauch zu minimieren. Zweitens geben Regierung und Verwaltung gewonnene Vollmachten nicht freiwillig wieder ab. Selbst wenn die Terrorgefahr eines Tages gebannt wäre: Führt dann ein Weg zurück ins Land der unbegrenzten Freiheit, das die USA vor 2001 waren?

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