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Harter Schlagabtausch: Joe Biden (links) und Paul Ryan lieferten eine spannende Debatte.

© dpa

Countdown zur US-Wahl: Noch 25 Tage: Biden gegen Ryan: Schärfer könnte der Kontrast kaum sein

Joe Biden und Paul Ryan lieferten in Stil und Substanz jene Konfrontation, die viele Zuschauer in der ersten Fernsehdebatte zwischen Obama und Romney vermisst hatten. Anhänger beider Parteien scheinen sich jedoch in ihrer Realitätswelt einzuigeln.

Der Mann rechts im Bild schlägt Alarm: Mehr als 16 Billionen Dollar Schulden, ein zu geringes Wirtschaftswachstum, zu hohe Arbeitslosigkeit, vor dem Bankrott stehende staatlich finanzierte Sozial- und Gesundheitsprogramme. Und in der Außenpolitik? Amerika wird nicht mehr respektiert, hat seine Werte an die UN verraten, Russland und China zu viel Vetomacht eingeräumt, sendet widersprüchliche Signale aus, hat weder in Libyen noch in Syrien oder Ägypten eine Strategie, ermuntert durch seine Passivität die iranischen Ayatollahs, weiter an der Bombe zu basteln.

Auch der Mann links im Bild schlägt Alarm: Wenn der Mann rechts im Bild an die Macht kommt, werden die Reichen noch reicher, die Armen noch ärmer, um die Alten und Bedürftigen kümmert sich niemand mehr, die Mittelklasse wird geschröpft. Und in der Außenpolitik? Da könnte es neue Kriege im Nahen Osten geben, Flächenbrände, zunehmende globale Spannungen, eine Verlängerung des amerikanischen Militärengagements in Afghanistan, es droht ein Rückfall in alte Dominanz- und Arroganzzeiten.

Schärfer könnte der Kontrast kaum sein, den US-Vizepräsident Joe Biden (links im Bild) und sein republikanischer Rivale Paul Ryan (rechts im Bild) am Donnerstagabend (Ortszeit) in Danville im Bundesstaat Kentucky für das Publikum skizzieren. Es ist das erste und einzige TV-Duell der Vizes, und für die klare Präsentation ihrer konträren Positionen muss man den Kontrahenten dankbar sein. Biden und Ryan lieferten in Stil und Substanz jene Konfrontation, die viele Zuschauer in der ersten Fernsehdebatte zwischen Barack Obama und Mitt Romney vermisst hatten.

Einen klaren Sieger indes gab es diesmal nicht. Biden war angriffslustig und versiert, doch seine übertrieben herablassende Gestik schadete ihm. Wenn er Ryan mal nicht unterbrach, verzog er bei dessen Ausführungen das Gesicht zu einem höhnischen Dauergrinsen. Ryan blieb überwiegend sachlich, machte keinen Fehler, befand sich aber die meiste Zeit in der Defensive. Der eine biss zu, der andere legte dar.

Genau dadurch freilich spielten sie ihre Rollen perfekt. An Biden war es, wieder die Leidenschaften der eigenen Klientel zu entfachen. Vielen Demokraten fehlt der Obama-Enthusiasmus von vor vier Jahren. Einen zusätzlichen Dämpfer erhielten sie durch das lustlose Auftreten des Präsidenten in der ersten TV-Debatte. Plötzlich schien die Gegenseite in den Yes-we-can-Modus zu wechseln. Gut möglich, dass Biden durch seine Aggressivität erneut die Herzen einiger Anhänger erwärmte.

Ryan wiederum durfte sich vor allem keine Blöße geben. Er musste unentschiedene Wähler davon überzeugen, dass mit Romney und ihm die Welt nicht unterginge. Er musste Ängste vor zu großer Radikalität zerstreuen. Außerdem musste der 42-jährige Kongressabgeordnete inhaltlich mit dem 69-jährigen Biden mithalten. All das gelang ihm recht passabel.

Die Dynamik des Wahlkampfes wird das Vize-TV-Duell folglich nicht wesentlich verändern. Obama und Romney liefern sich weiter ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Für Obama spricht, dass Amerikaner grundsätzlich jedem eine zweite Chance geben. Nur dreimal in den vergangenen 70 Jahren haben sie einen amtierenden Präsidenten abgewählt – Gerald Ford, Jimmy Carter, George Bush senior. Außerdem profitiert Obama von der Angst vieler Amerikaner vor einem Rückfall ihres Landes in die Bush-Ära.

Für Romney spricht, dass die Wirtschaftslage und Schuldensituation, trotz leichter Erholungstendenzen auf dem Arbeitsmarkt, immer noch bedrückend ist. Außerdem profitiert der Republikaner davon, das satanische Zerrbild demontieren zu können, das in einigen demokratischen Kreisen von ihm aufgebaut worden war. Die erste TV-Debatte war ja nicht so sehr von Obama verloren (seine Werte blieben konstant) als von Romney gewonnen worden (seine Werte verbesserten sich). Denn der ehemalige Gouverneur des liberalen Bundesstaates Massachusetts entsprach so gar nicht jenen Negativ-Stereotypen, die über ihn verbreitet worden waren. Insofern hatte ihm der linke Alarmismus sogar genützt.

Malte Lehming berichtet in seinem Countdown zur Wahl aus den USA
Malte Lehming berichtet in seinem Countdown zur Wahl aus den USA

© Tsp

Viele Amerikaner wollen sich ein eigenes Bild machen. Sie sind ziemlich vorurteilsresistent. Auch wissen sie, dass sich Herausforderer in den innerparteilichen Vorwahlen ideologisch unnachgiebiger präsentieren müssen als im eigentlichen Wahlkampf. Deshalb kommt es zwischen Januar und November regelmäßig zu programmatischen Änderungen. Das wiederum liefert der Gegenseite Stoff für Wendehals-Vorwürfe. Doch allein mit Variationen des gegen die Republikaner gerichteten Inkonsistenzarguments werden die Demokraten wohl nicht weiter punkten können.

Zunehmend riskant für sie ist auch der Lügen-Vorwurf. Das Magazin „Time“ bringt in seiner aktuellen Ausgabe eine faszinierende Titelgeschichte unter der Überschrift „The Fact Wars – Who is Telling the Truth?“. Bestürzend ist die Erkenntnis, wie sehr sich beide Seiten in ihrer eigenen Realitätswelt einigeln und davon überzeugt sind, die jeweils andere Seite sei gaga. 76 Prozent der Romney-Anhänger meinen, Obama führe die Wähler absichtlich in die Irre. Exakt genau so viele Obama-Anhänger meinen dasselbe von Romney.

Countdown zur Wahl: Malte Lehming berichtet.
Countdown zur Wahl: Malte Lehming berichtet.

© Tsp

Online-Portale wie FactCheck.org oder PolitiFact.com (35 fest angestellte Redakteure, gewann den Pulitzerpreis für seine wahlbegleitenden Berichte 2008) hinken mit ihrer Aufklärungsarbeit den rhetorischen Pirouetten der Wahlkämpfer hechelnd hinterher. Und das Deprimierendste: Studien zeigen, dass die Wahrheit in ideologisch erhitzten Momenten gar nichts nützt. Je bedrohlicher Fakten für die eigene Weltanschauung sind, desto leichter werden sie verdrängt.

Als unlängst ein Werbestratege von einem Fact-Checker der „Washington Post“ wegen grober Falschaussagen in der Kampagne zur Rede gestellt wurde, lachte der nur: „Mir ist es völlig egal, was sie mir erzählen, weil diese Werbung wirkt.“

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