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Nicolás Maduro will Präsident werden. Dafür hält er ein Plakat des verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez hoch. In den Umfragen liegt der ehemalige Busfahrer vorn. Foto: AFP

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Venezuela: Das Erbe des Erdöl-Sozialismus

Am Sonntag wird in Venezuela ein Nachfolger für den verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez gewählt.

14 Jahre stand er oben: Hugo Chávez und Venezuela, das war fast das Gleiche. Konsequent hat der vor fünf Wochen verstorbene Staatschef an seinem Mythos gebastelt. Auf 1656 Stunden Sendezeit oder 69 Tage am Stück brachte es alleine seine sonntägliche Politshow „Alo Presidente“. Er hat das Kunststück fertiggebracht, gleichzeitig den US-Präsidenten George Bush als Teufel zu verdammen und dem Erzfeind den Löwenanteil des venezolanischen Erdöls zu verkaufen. Mit Milliarden von Petrodollars katapultierte er seine „bolivarische Revolution“ auf die Weltbühne.

„Das größte Problem für den Regierungskandidaten Nicolás Maduro ist nicht, die Wahl am Sonntag zu gewinnen, sondern anschließend zu regieren“, meint der Politologe Michael Rowan. „Chávez ist auf dem Höhepunkt seines Erfolgs gestorben“, sagt der Ökonom Orlando Ochoa von der Katholischen Universität Andrés Bello. „Seinem Nachfolger hinterlässt er eine Bombe.“ Chávez habe sich zum Mythos stilisiert, effiziente Regierungsführung sei ihm nicht wichtig gewesen, sagt sein Biograf, Alberto Barrera.

Die Probleme sind vielfältig. Die Gewaltkriminalität erreicht immer neue Rekorde. Der Erdöl-Sozialismus des 21. Jahrhunderts hat zu ähnlichen Verwerfungen geführt wie seine historischen Vorgänger: Verstaatlichungen, Devisenverkehrs- und Preiskontrollen haben die Korruption befeuert und gleichzeitig zu Güterknappheit geführt. Eine enorme Ausweitung der Staatsausgaben hat den Armen zwar einen Konsumboom ermöglicht, aber auch die Inflation angeheizt. Die heimische Produktion ist auf ein historisches Minimum gefallen; die Abhängigkeit vom Erdöl ist größer denn je. Doch der staatliche Erdölkonzern ist zum Sozialhilfeministerium geworden, baut Wohnungen und verteilt subventionierte Lebensmittel. Derweil ist die Ölproduktion zurückgegangen. Stromausfälle gibt es täglich, und die Exporte werden im Voraus an China verpfändet.

Für all das konnte Chávez mit seinem rhetorischem Talent den Imperialismus, den Kapitalismus oder inkompetente Minister verantwortlich machen. „Aber Charisma ist nicht übertragbar, und auch der Kronprinzen-Effekt für Maduro hat ein schnelles Verfallsdatum“, warnt die Historikerin Margarita Lopez-Maya. Chávez hinterlasse zudem keine Doktrin, sondern einen einzigartigen Mix aus linkem und rechtem Gedankengut, verbunden mit etwas Pragmatismus, radikaler Rhetorik und populistischer Volkskultur, meint der Soziologe Tulio Hernández. Entsprechend heterogen ist das Regierungslager. Derzeit speist sich die Einigkeit der Chavistas nach Auffassung des Meinungsforschers Luis Vicente León aus dem Machttrieb. „Nach der Wahl werden die Karten neu gemischt.“ Er erwartet Flügelkämpfe. Insbesondere Parlamentspräsident Diosdado Cabello, der dem militärisch-nationalistischen Flügel nahesteht, gilt als einflussreicher Gegenspieler Maduros.

„Egal wer gewinnt, der Nachfolger wird erst mal die Wirtschaft auf Vordermann bringen müssen“, glaubt Rory Carroll, ehemaliger Korrespondent und Autor eines Buches über Venezuela. „Das führt notwendigerweise zu Einschnitten bei den Staatsausgaben und wird zu sozialen Unruhen führen.“ Die Gesellschaft ist zutiefst polarisiert. Schon während der Agonie des Präsidenten sah sich die Regierung zu einer Abwertung der Währung gezwungen; die sozialistischen Bruderländer wie Kuba und Nicaragua fürchten Kürzungen bei den Erdöllieferungen.

Bleiben die Erdölpreise hoch, hat der neue Präsident die Chance auf schrittweise Reformen. Ob sich Maduro dann zum realpolitischen Reformer wandelt – möglicherweise auf Anraten des kubanischen Staatschefs Raúl Castro – oder ob er den radikalen sozialistischen Kurs fortführt, wie er ihn im Wahlkampf vertreten hat, ist offen. „Je klarer sein Sieg ausfällt, desto mehr Spielraum hat er für Reformen“, sagt León. Dass Oppositionskandidat Henrique Capriles im Falle eines Sieges das Ruder herumreißen würde, hat er oft genug gesagt. „Aber der Kelch ist so vergiftet, dass einige Oppositionelle insgeheim auf einen Sieg Maduros, hoffen, damit die Chavistas die Suppe selbst auslöffeln müssen“, meint Carroll.

So könnte es kommen: Maduro liegt den Umfragen zufolge um bis zu 20 Prozentpunkte vor Capriles, bei den Wahlen im Oktober noch gegen Chávez war Capriles auf 44,3 Prozent gekommen. mit dpa

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