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Ein Graffiti in Caracas zeigt den Staatschef Hugo Chavez. Dessen Gesundheitszustand verschlechtert sich zunehmend.

© Reuters

Venezuela: Streit ums Erbe von Chavez

Der Gesundheitszustand des krebskranken Staatschefs Hugo Chavez ist schlecht – in Venezuela droht ein Machtkampf.

Vor rund drei Wochen wurde Venezuelas Staatschef Hugo Chavez zum letzten Mal gesehen. Und dass es trotz aller offiziellen Beteuerungen nicht gut um ihn steht, ist längst klar. Bei der vierten Krebsoperation innerhalb von 18 Monaten kam es zu Blutungen und Komplikationen durch eine Infektion, erklärte Kommunikationsminister Ernesto Villegas. Mehrmals sei Chavez ins Koma gefallen, er fiebere, könne weder sprechen noch gehen, so der oppositionelle, gut unterrichtete Journalist Nelson Bocaranda. Über Weihnachten wurden nur die engsten Familienangehörigen ins Cimeq-Krankenhaus von Havanna vorgelassen.

Der erst 58-jährigen Galionsfigur der bolivarischen Revolution droht ein vorzeitiges Ende, nachdem im Juni 2011 Krebs diagnostiziert wurde. Worum genau es sich handelt, wurde offiziell nie bekannt – und zwar aus einem guten Grund: nach den Angaben von Chavez’ Ex-Leibarzt Salvador Navarrete hat der Staatschef ein bösartiges Sarkom im Gewebe des Beckenbereichs. Der angesehene Chirurg, der nach dem Interview im Oktober 2011 vom Geheimdienst verfolgt wurde und ins Exil fliehen musste, hatte damals von einer Lebenserwartung von höchstens zwei Jahren gesprochen.

Selbst die Partner in der Region wirken bedrückt. Chavez sei enorm wichtig für die Stabilität der Region, erklärte der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos, der ideologisch eher rechts zu verorten ist. Uruguays Präsident José Mujica erklärte, Venezuelas Zukunft ohne Chavez sei voller Fragezeichen. Boliviens Präsident Evo Morales war der einzige, der nach der Operation nach Havanna flog. Ob er den Patienten zu Gesicht bekommen hatte, ließ er jedoch offen. Chavez erhole sich nach einer schrecklichen Operation, erklärte er danach lediglich.

Bereits vorsorglich verabschiedet hat sich Chavez’ ideologischer Ziehvater, der kubanische Revolutionführer Fidel Castro: „Ich bin sicher, dass ihr (venezolanischen) Revolutionäre mit und selbst ohne ihn, so schmerzlich sein Verlust wäre, in der Lage seid, sein Werk fortzuführen“, schrieb der 86-Jährige in einem offenen Brief. Als er selber 2006 dem Tod nur knapp von der Schippe gesprungen war – eine verpatzte Divertikel-Operation war daran schuld – sagte Castro, er könne beruhigt sterben, seine Nachfolge liege in den Händen seines jüngeren Bruders und sei geregelt, aber Chavez sei keinesfalls verzichtbar.

Chavez hat ein Netz der Abhängigkeiten gesponnen.

Gemeint ist damit nicht nur die Fackel der Revolution, sondern es geht auch um die Petrodollars, mit denen sich Chavez regional Einfluss erkauft hat: „80 Prozent der Energieversorgung Nicaraguas hängen am verbilligten, venezolanischen Erdöl, diese Abhängigkeit ist extrem riskant“, so der Abgeordnete der linken, sandinistischen Splitterpartei MRS, Victor Hugo Tinoco. Seit 2007 hat Venezuela dem mittelamerikanischen Land mit mehr als zwei Milliarden Dollar Entwicklungshilfe unter die Arme gegriffen. Auch Bolivien bekommt mehr als 100 Millionen im Jahr. Und das nach der Staatspleite ausgeblutete Argentinien konnte sich in Venezuela ebenfalls refinanzieren. Am meisten aber hat Kuba profitiert: Zwischen zwei und vier Milliarden Dollar Subventionen bekommt die Insel pro Jahr, zwei Drittel des Erdölbedarfs werden durch venezolanische Importe gedeckt, für die Kuba „im Tausch“ Ärzte und Ingenieure schickt. Ohne Venezuela gingen auf Kuba die Lichter aus.

Deshalb waren es auch die Kubaner, die Chavez drängten, nach seinem Wahlsieg im Oktober seinen Außenminister Nicolas Maduro zum Vizepräsidenten zu machen und ihn vor der Operation offiziell zum Nachfolger zu küren. So geschah es dann auch live und blumig im Fernsehen, wie es Chavez’ Stil ist: „Wenn ich nicht mehr in der Lage sein sollte, die Amtsgeschäfte wahrzunehmen und dann, wie die Verfassung es anordnet, Neuwahlen stattfinden müssen, bitte ich euch von ganzem Herzen, Maduro zum Staatschef zu wählen“, lautete sein Appell. Die Dramaturgie der Szene erinnerte ans letzte Abendmahl: Zu seiner Linken saß der Auserwählte, zu seiner Rechten dessen Rivale, der amtierende Parlamentspräsident Diosdado Cabello.

Die vergangenen Tage haben die internen Spannungen zutage gebracht, die von einem charismatischen Caudillo wie Chavez nach außen hin dementiert, nach innen aber geschürt wurden, um stets selbst die Zügel der Macht in der Hand zu behalten. Cabello und Maduro hegen nicht nur eine persönliche Antipathie, sie vertreten auch zwei gegensätzliche Lager. Während der ehemalige Busfahrer und Gewerkschafter Maduro den zivilen, pro-kubanischen Flügel repräsentiert, stehen hinter Cabello die Militärs und ihre geschäftlichen Interessen – etwa die Kontrolle des Zolls. Cabello hat bei den Regionalwahlen Mitte Dezember erheblich an Einfluss gewonnen; elf der 22 chavistischen Gouverneure sind Militärs. Im Zweifelsfall hätte Cabello wohl die reguläre Armee hinter sich; Maduro könnte auf die mit kubanischer Unterstützung geschaffenen Milizen zählen. Venezuela ist ohnehin schon eines der gewalttätigsten Länder der Welt, jetzt kursieren Bürgerkriegsszenarien. Cabello plane einen Putsch, denunzierte in einem Artikel der linke deutsche Ökonom und frühere Chavez-Berater Heinz Dieterich. Für solche Spekulationen sei es noch zu früh, warnte hingegen Moises Naim, Venezolaner und ehemaliger Chefredakteur der Zeitschrift „Foreign Policy“.

Nicht nur wer, sondern auch was das Erbe des Caudillo sei, wäre unklar, argumentiert wiederum der rechte Publizist und Exil-Kubaner Carlos Alberto Montaner. Der Klientelismus, mit dem sich Chavez die Gefolgschaft der Wähler erkauft habe, sei nicht auf Dauer haltbar, und wenn die Erdölpreise fielen oder Chavez von der Bühne verschwinde, werde das ganze Ausmaß des Desasters offenbar, prophezeit Montaner.

Sandra Weiß

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