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Politik: Venezuelas neuer Präsident Chavez wird von seinen Gegnern als Diktator beschimpft. Den Europäern will er beweisen, dass er ein Demokrat ist

Die Delegation ist müde, nur der Präsident hellwach. Mitternacht naht.

Die Delegation ist müde, nur der Präsident hellwach. Mitternacht naht. Im dritten Stock des Berliner Hotels Adlon brennt noch Licht. Hugo Chavez arbeitet. Dabei ist der neue Staatschef Venezuelas erst kurz zuvor gelandet. Doch am nächsten Tag soll er dem deutschen Bundespräsidenten und dem Kanzler erklären, was es mit seiner "Revolution" im eigenen Land auf sich hat. Hugo Chavez ist auf kleiner Europatour, gestern Deutschland, heute Italien. Morgen wieder Deutschland. Und letzte Woche, da war er in New York, um der UN-Vollversammlung zu erklären, dass er ein Demokrat sei.

Seine politischen Gegner sehen das ganz anders. Und das hat Gründe. Im vergangenen Dezember wählten ihn die Venezolaner mit überwätigender Mehrheit zum neuen Präsidenten. Erstmals seit 1959 sind Sozialdemokraten und Christlichsoziale nicht mehr an der Macht beteiligt. Das allein war schwer zu verkraften für die alte politische Klasse des Landes, die das Vertrauen des Volkes verlor, weil sie korrupt geworden war, ineffizient, zügellos; und das einst blühende Venezuela abgewirtschaftet hat. Chavez aber demontierte zudem kurz darauf das Parlament, indem er eine "Verfassungsgebende Versamlung" wählen ließ, die dank eines nichtproportionalen Wahlsystems von einer üppigen Mehrheit Regierungstreuer kontrolliert wird. "Diktatur!", schrie die Opposition und ging auf die Straße, um zu protestieren, was wiederum die Bevölkerung nicht scherte. Der neue Präsidenz ist beliebt. Erst nach Vermittlung der katholischen Kirche und der wachsenden Kritik aus dem Ausland machte Chavez kürzlich die Auflösung des Parlaments rückgängig.

Nun sitzt er in der Präsidentensuite des Adlon und spricht über seine Revolution. Der dunkelblaue Anzug mag nicht recht zu einem Revolutionär passen und das Hotel an sich sowieso nicht, aber schließlich ist Chavez auf Staatsbesuch. Bei Fragen sitzt er da wie gebannt, die Arme fest auf der Lehne seines Sessels plaziert, die Finger leicht gekrümmt. Wenn er spricht, gestikuliert er heftig. Er redet mit tiefer Stimme, aber ruhig und sachlich. Die USA, Europa, will er für seine Sache gewinnen. Er sagt "Revolution". Ganz bewusst. "Was wir in Venezuela erleben, ist eine Revolution, eine Revolution im demokratischen Rahmen." Dann zeigt er auf die neue Bibel seines Volkes. Eine Broschüre, 91 Seiten dünn, für die Europäer hat er sie auf englisch und französisch drucken lassen. Vorne drauf das Abbild Simon Bolivars, dem Befreier Lateinamerikas, der als erstes den panamerikanischen Gedanken vertrat. Es ist die neue Verfassung Venezuelas, die die Verfassungsgebende Versammlung eigentlich noch erarbeiten soll. Aber sie steht anscheinend schon fest, mit Punkt, Komma und Strich. Gleich im zweiten Kapitel steht der Satz: "Die Regierung der bolivarianischen Republik von Venezuela ist demokratisch, sozial, verantwortlich, teilnehmend und alternativ." Chavez sagt: "Alle reden von der traditionellen Demokratie in Venezuela. Aber es gab in den letzten Jahren keine Demokratie. Es gab kleine Gruppen, Eliten, korrupte Parteien, Chaos." Für ihn ist diese Zustandsbeschreibung Legitimation für seine Zielvorgaben. Diese sind umfangreich: Die Menschen müssten wieder partizipieren, Vertrauen in die Demokratie gewinnen. Der Pluralismus müsse wieder hergestellt werden. Ein neues ökonomisches Modell müsse her, der "Neoliberalismus" habe versagt.

Keine 12 Stunden später aber wirbt Chavez in Berlin um Investoren. Bereits im Vorfeld der Reise war klar: Das Kanzleramt und das deutsche Außenministerium wollen über Demokratie und Stabilität sprechen. Hier muss Chavez Vertrauen gewinnen. Denn seine "Revolution" wird nicht funktionieren, wenn ihm die internationale Gemeinschaft den Kredithahn zudreht.

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