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Politik: Verbände boykottieren Gesundheitsanhörung

Ministerium versandte Reformdetails erst vor zwei Tagen – und will sie am Montag schon erörtern lassen

Berlin - Dass die Frist äußerst knapp gesetzt war, bestreitet auch im Gesundheitsministerium keiner. Am vergangenen Donnerstag erst schickte Ulla Schmidt die 542 Seiten ihres neuen Entwurfs zur Gesundheitsreform an 94 betroffene Verbände. Am kommenden Montag sollten die dann schon die Details im Ministerium erörtern. Dazwischen liegen: der Restdonnerstag, ein Freitag mit meist verfrühtem Dienstschluss und ein Wochenende. „Und dies“, so schreiben die erzürnten Lobbyisten, „obwohl das Ministerium seit dem 4. Juli 2006 von den Koalitionsspitzen den Auftrag erhalten hatte, einen konkreten Gesetzentwurf vorzulegen, und somit ein sinnvoller zeitlicher Ablauf bei strukturiertem und effektivem Arbeiten des Ministeriums problemlos möglich gewesen wäre.“

So war am Freitag der Eklat perfekt. 14 Spitzenorganisationen – darunter alle maßgeblichen Kassen-, Ärzte-, Zahnärzte-, Apotheker- und Krankenhausverbände – erklärten gemeinsam den Boykott der Anhörung. Die Veranstaltung sei eine „Farce“, betonten sie am Freitag. Sinn einer fachlichen Anhörung sei es, die Regelungen „detailliert auf ihre Wirkungen hin abzuklopfen und auf mögliche auftretende Probleme hinzuweisen“. Dies sei in derart kurzer Zeit jedoch „ein Ding der Unmöglichkeit“.

Der Zeitplan sei nun mal sehr eng, argumentiert Ministeriumssprecher Klaus Vater – und erinnert daran, dass sich das Kabinett schon am 24. Oktober mit der Reform befassen soll. Den Funktionären falle „kein Verbandsstein aus der Krone“, wenn sie sich am Wochenende mit dem Entwurf auseinandersetzten.

Der Schlagabtausch ist neuer Höhepunkt der Dauerauseinandersetzung zwischen Ministerium und Gesundheitsverbänden, die von der geplanten Reform herzlich wenig halten – und dies seit Monaten öffentlich kundtun. Erst am Tag zuvor hatte Ministeriumssprecher Vater der privaten Krankenversicherung (PKV) „polemische und unwahre Behauptungen“ unterstellt und sie davor gewarnt, „am Ende nicht mehr ernst genommen zu werden“. Den gesetzlichen Kassen wollte das Ministerium sogenannte Aufklärungsaktionen über die Reform sogar verbieten. Im Gegenzug droht die PKV mit einer „Klagewelle“. Die Bundesärztekammer nannte die Einigung „Murks“ und kündigte an, sich „mit aller Kraft zur Wehr zu setzen“.

Offenbar sei „nicht im Entferntesten daran gedacht, die möglichen Einwände der Spitzenorganisationen im Gesetzentwurf zu berücksichtigen“, schreiben die Spitzenorganisationen nun. Schließlich sei die Ressortabstimmung über die Reform schon einen Tag später geplant. Es sei „unverantwortlich, diesen Gesetzentwurf mit über 500 Druckseiten im Hauruck-Verfahren zu beschließen“. Über viele Einzelpunkte sei „überhaupt noch nicht in aller Konsequenz fachlich und juristisch beraten, geschweige denn öffentlich diskutiert worden“.

Die Linksfraktion wertete den Boykott am Freitag als Beleg dafür, dass die Reform keinerlei Rückhalt habe. Das Ministerium indessen kündigte an, die Anhörung am Montag dennoch zu veranstalten. Der Boykott werde „das Gesetz nicht aufhalten“, sagte Vater.

Unterdessen haben die Sozialverbände SoVD und VdK gemeinsam Verfassungsbeschwerde gegen die vorangegangene Gesundheitsreform 2004 eingereicht. Dabei geht es um die damals eingeführte Neuerung, dass auf Betriebsrenten der volle Krankenversicherungsbeitrag fällig wird. Damit wurden diese Renten im Schnitt um rund sieben Prozent gekürzt.

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