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Noch toter als ein Toter - ein Hagens-Plastinat

© Kitty Kleist-Heinrich

Verbot der "Körperwelten"-Ausstellung: Die Oberrichter proben den Sittenaufstand

Berlins Justiz macht der "Körperwelten"-Schau ein Ende. Doch der Anatom Gunther von Hagens geht mit den Toten besser um als die Richter mit dem Gesetz. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Menschenwürde contra Sensationslust, was gewinnt? Menschenwürde, natürlich. Viel Zustimmung wird es deshalb für das Urteil des Berlin-Brandenburger Oberverwaltungsgerichts geben, das der Körperwelten-Ausstellung des Skandalanatomen Gunther von Hagens ein Ende setzen soll. Ein Verstoß gegen das Bestattungsgesetz, meinen die Richter.

Ausnahmen nach dem Sektionsgesetz seien unmöglich, weil von Hagens keine Wissenschaft betreibe, sondern eine Show veranstalte. Darüber hinaus könne er nicht nachweisen, ob die Lebenden im konkreten Fall auch eingewilligt hätten, zu sogenannten Plastinaten umgearbeitet zu werden.

Die Menschenwürde schlägt die Sensationslust – wenn es so einfach wäre, dann müsste Boulevardpresse verboten, das Gaffen nach Unfällen strafbar und die Hälfte des Internet-Video-Angebots zensiert werden. Folglich kann es nicht allein um solche Motive gehen, und vor Gericht sollte es nicht darum gehen.

Richter sind keine Sittenwächter. Deshalb ist das Urteil ein falsches Urteil. Es ist moralisch, es ist nicht juristisch. Das Berliner Bestattungsgesetz hat das Ziel, Leichen zu beseitigen. Leichen verwesen, stinken, sind giftig; deshalb sollen sie weg. Aber die Hagens-Plastinate sind keine Leichen, sondern Kunststofffiguren in Menschenform. Von Hagens macht mit Leichen, was Tierpräparatoren mit Dackeln machen, wenn Herrchen sie nicht gehen lassen möchte. Er stopft sie aus. Aus dem Leichnam wird ein Werkstück.

Unsittlich? Vielleicht. Das mag der Gesetzgeber entscheiden, und wenn der SPD-regierte Bezirk Mitte das Thema so bedeutend findet, soll die Partei doch damit Wahlkampf machen. Bis dahin aber ist das geltende Recht zu achten. Und das gibt für ein Verbot nichts her. Das Berliner Verwaltungsgericht hatte dafür in erster Instanz die richtigen Worte gefunden: Zwar sind die Hagens-Exponate „Leichen“ nach den Buchstaben des Gesetzes, aber nicht nach seinem Sinn.

Und dass der Sinn von Gesetzen bei ihrer Auslegung eine wichtige Rolle spielen muss, kann jeder nachvollziehen auch ohne Jura studiert zu haben. Hagens Präparate stinken nicht, verwesen nicht, sie vergiften nichts. Es gibt keinen Grund, sie unter die Erde zu bringen, und das sonst ja berechtigte Verbot, Leichen öffentlich auszustellen, kann hier nicht greifen.

Die Oberrichter proben dennoch den Sittenaufstand, indem sie Hagens Prozedur, die Leichen gewissermaßen zu entpersonalisieren und damit zu verdinglichen, gegen ihn wenden: Nun sei nicht mehr nachvollziehbar, ob sie zu Lebzeiten eingewilligt hätten. Wäre es sittlicher, bei der Schau Personalausweis und Einverständniserklärung an die Glaskästen zu kleben? Über Hagens’ Werk mag man streiten. Aber mit seinen Leichen geht er korrekter und handwerklich besser um als diese Richter mit dem Gesetz.

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