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Politik: Verbotene Erinnerung

Heute jährt sich das Pekinger Tienanmen-Massaker zum 23. Mal – und immer noch verweigert Chinas Führung eine Aufarbeitung.

Vor zwei Wochen hat das Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking sein vorerst letztes Opfer gefordert. Wie die „Mütter von Tiananmen“ – eine Gruppierung von Eltern, deren Kinder bei dem Massaker getötet worden sind – bekannt gaben, hat sich der 73 Jahre alte Ya Weilin in einer unterirdischen Parkgarage erhängt. Sein jüngster Sohn Ya Aiguo war am Abend des 3. Juni 1989 in Peking von einmarschierenden Truppen der Volksbefreiungsarmee im Alter von 22 Jahren erschossen worden. „Seine anhaltende Trauer und Niedergeschlagenheit haben schließlich zur Verzweiflung geführt“, schreiben die „Mütter von Tiananmen“, „der Tod von Herrn Ya ist eine neue Sünde, die zu der alten nicht aufgearbeiteten Trauer hinzukommt“.

Wenn sich am heutigen Montag die gewaltsame Niederschlagung der friedlichen Studentenproteste in Peking zum 23. Mal jährt, verweigert sich die chinesische Regierung weiterhin einer Aufarbeitung und Neubewertung der Ereignisse. Die sechswöchigen Demonstrationen der Studenten auf dem Platz des himmlischen Friedens, die in der Nacht zum 4. Juni ein blutiges Ende fanden, werden als „konterrevolutionärer Aufstand“ bewertet. An die Untaten der Volksbefreiungsarmee, die mehreren hundert, möglicherweise mehreren tausend Menschen das Leben gekostet haben, darf in China offiziell nicht erinnert werden. Nur in Hongkong darf aufgrund der Formel „ein Land, zwei Systeme“ eine Mahnwache stattfinden. Der Tiananmen-Platz hingegen ist in den letzten Tagen noch intensiver von Polizei und Zivilbeamten überwacht worden, um Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen zu verhindern.

Der Jahrestag des Tiananmen-Massakers fällt in diesem Jahr in die schwierige Phase des politischen Übergangs in China. Im Herbst findet der einmal in zehn Jahren vorgesehene Machtwechsel an der Spitze der Kommunistischen Partei statt. Die vergangenen zehn Jahre seien eine verpasste Chance gewesen, resümieren die „Mütter von Tiananmen“ in einer Erklärung zum Jahrestag: „Sie hätten eine goldene Chance bieten können, um politische Reformen und eine gerechte Lösung der Probleme zu initiieren, die nach dem 4. Juni geblieben sind.”

In China halten sich Gerüchte, wonach Ministerpräsident Wen Jiabao bei drei Gelegenheiten eine Neubewertung des 4. Juni gefordert habe. Doch genauso wie seine wiederholten Reformaufrufe ist davon nichts umgesetzt worden. Die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ glaubt, dass das ungesühnte Massaker Gesetzesreformen verhindern würde. „Es sind nun mehr als drei Jahrzehnte seit dem Beginn der Reform- und Öffnungsperiode in China vergangen, trotzdem hat die Regierung kaum Interesse an Reformen und Öffnung gezeigt, was die Proteste und das Blutvergießen von 1989 angeht“, sagte China-Direktorin Sophie Richardson, „aber die Forderungen in China nach wirkungsvollen Gesetzesreformen und Verantwortlichkeiten wachsen weiter – trotz des Widerstandes der Regierung“.

Zuletzt hatte sich überraschend einer der Verantwortlichen von damals zu Wort gemeldet – und seine Rolle heruntergespielt. Der ehemalige Pekinger Bürgermeister Chen Xitong weist in einem in Hongkong veröffentlichten Buch jegliche Schuld von sich. „Niemand hätte sterben müssen, wenn angemessen damit umgegangen worden wäre“, sagte Chen Xitong. Bisher war man allgemein davon ausgegangen, dass er seinerzeit Chinas Staatschef Deng Xiaoping zur Niederschlagung der Demonstrationen drängte. Nun äußert er sich als Erster der Verantwortlichen von damals eingehender zu den Ereignissen. Allerdings spielt er seit seiner Inhaftierung wegen Korruption 1996 keine Rolle mehr im kommunistischen Herrschaftsgefüge. Chen Xitong behauptet nun, für das Massaker vor 23 Jahren sei ein „Machtkampf an der Spitze“ verantwortlich gewesen.

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