zum Hauptinhalt

Politik: Verfassung mit Verspätung

Der drohende Krieg und der Streit zwischen London und Paris haben für die EU schon Folgen: Die Arbeit im Konvent verzögert sich

Von Sabine Heimgärtner, Paris,

und Albrecht Meier, Berlin

Es war alles ganz anders geplant: Die Europäische Union hätte im Juni ihre Debatte über eine EU-Verfassung abgeschlossen und gleichzeitig ihre erste eigenständige militärische Friedensmission in Mazedonien begonnen – vorzeigbare Erfolge einer gemeinsamen Politik der 15 EU-Mitgliedstaaten. Mit dem drohenden Irak-Krieg hat sich aber ein tiefer Graben zwischen Kriegsgegnern und -befürwortern in den EU-Regierungszentralen aufgetan. Der erste diplomatische Kollateralschaden des bevorstehenden Feldzuges gegen Saddam Hussein: Die Debatte über die europäische Verfassung wurde von der Tagesordnung des EU-Gipfels am Donnerstagabend in Brüssel gestrichen.

Immerhin soll es bei dem Brüsseler Gipfel zu einem Treffen zwischen dem britischen Premierminister Tony Blair und Frankreichs Staatschef Jacques Chirac kommen – den beiden Haupt-Kontrahenten bei dem europäischen Streit um die richtige Irak-Politik. Das Zerwürfnis zwischen London, das an der Seite Washingtons in den Krieg zieht, und Paris geht angesichts des französischen Anti-Kriegs-Kurses tief und dürfte auch die künftige Europapolitik belasten. Zwar will sich der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des Europaparlaments, Elmar Brok (CDU), von dem Streit zwischen Kriegsbefürwortern und Kriegsgegnern in Europa nicht irre machen lassen. Brok hofft als Mitglied des EU-Konvents, der eine europäische Verfassung ausarbeiten soll, auf eine Beschleunigung des Beratungs-Tempos in dem Gremium. Mit dem Streit zwischen Blair und Chirac sei „das Kind tief in den Brunnen gefallen“, sagte Brok dem Tagesspiegel. Die Mitglieder im EU-Konvent seien sich deshalb auch im Klaren darüber, dass sich der Streit auf offener europäischer Bühne nicht mehr wiederholen dürfe, sagte Brok weiter. Die EU-Mitgliedstaaten wollen sich mit der EU-Verfassung das nächste Mal aber erst wieder im April befassen. In Brüssel wird derzeit auch nicht ausgeschlossen, dass der Abschlussbericht des Konvents nicht wie geplant im Juni, sondern erst im Oktober vorgelegt wird.

Seit der britische Regierungschef Tony Blair und sein spanischer Amtskollege José Maria Aznar in der Irak-Krise immer enger mit US-Präsident George W. Bush zusammengerückt sind, brüten in Paris Politikwissenschaftler über der Frage, wie sich der drohende Krieg auf die künftige Ordnung in Europa auswirken werde. Die meisten kommen, wie der französische Politologe François Heisbourg, zu dem Schluss: „Nicht das Irak-Problem hat Europa gespalten, sondern die unterschiedliche Haltung der Regierungen zu den USA." Heisbourg folgert daraus: „Gemeinsame außenpolitische Standpunkte im Europa der 25 wird es nicht geben können, wenn die Amerikaner eine andere Meinung vertreten." Der EU-Pessimismus etlicher französischer Politstrategen geht so weit, dass den USA unterstellt wird, ihren Einfluss auf die früheren Satellitenstaaten der Sowjetunion künftig noch zu vertiefen, um eine wirkliche europäische Integration von vornherein zu verhindern.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false