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Bielefelder Rechtswissenschaftler Christoph Gusy.

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Verfassungsschutzbehörden: "Im Osten fehlte die Wachsamkeit vor Rechtsextremisten"

Der Bielefelder Staatsrechtler Christoph Gusy spricht mit Tagesspiegel Online über das Versagen der Behörden bei den Neonazis und Fehler beim Aufbau des ostdeutschen Verfassungsschutzes.

Herr Gusy, dem Verfassungsschutz werden gravierende Fehler bei der Aufklärung der Neonazi-Terrorserie vorgeworfen. Kann man den deutschen Verfassungsschutzbehörden überhaupt vertrauen?

Das Institutionenvertrauen der Deutschen im Feld der inneren Sicherheit ist eigentlich sehr hoch, vor allem das Vertrauen in die Polizei. Das in die Nachrichtendienste ist dagegen schon deutlich niedriger. Es wird ganz wichtig sein, dass die Verfassungsschutzbehörden nun daran arbeiten, das Vertrauen in sie wieder herzustellen. Es gab aber schon in der Vergangenheit den einen oder anderen Fall, wo man sagen musste, es hätte deutlich besser laufen können.

Zum Beispiel?

Etwa die Diskussionen, die nach dem 11. September darüber ausbrachen, dass die Hamburger Terrorszene den Hamburger Verfassungsschutzbehörden umrisshaft bekannt war, dort aber nichts unternommen worden ist.

Hat der Verfassungsschutz im Fall der Neonazi-Zelle aus Jena versagt?

Es gibt zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass Verhältnisse wie diese nicht ohne ein umrisshaftes Wissen oder gar ein bewusstes Wegschauen der örtlich zuständigen Behörden möglich waren. So eine Terrorszene kann sich in Deutschland nur dann halten, wenn sie  Unterstützung aus einem legalen Umfeld erfährt. Die Rechtsextremistenszene in Thüringen und Sachsen ist von V-Leuten dicht durchsetzt. Dass da niemand etwas gewusst hat, ist kaum vorstellbar. Es drängt sich also der Verdacht auf, dass tatsächlich Behörden ihre Amtspflichten nicht ausreichend erfüllt haben.

Wo liegen die Ursachen für ein solches Versagen?

Mit Schnellschüssen an dieser Stelle wäre ich jetzt vorsichtig. Es gibt eine Menge Spekulationen und Vermutungen und ich möchte keine weitere hinzufügen. Ich denke, hier muss gründlich aufgeklärt werden. Wir müssen schauen, was sind die konkreten Ursachen für diesen Fall und dann die Frage stellen: Ist das ein Sonderfall aus Thüringen oder ist es ein generelles Problem des Verfassungsschutzes?

Manche sagen, die Fehler haben damit zu tun, dass es sich um eine ostdeutsche Behörde handelt?

Der etwas überstürzte Aufbau der Verfassungsschutzbehörden in den neuen Bundesländern ist sicherlich eine Ursache. Man fand ja 1989/90 keine funktionierenden Strukturen vor, die man hätte übernehmen können. Man musste sie neu aufbauen. Und damals bestand die Tendenz, vor allem die Nachwirkungen des SED-Staates zu bewältigen. Das hatte aber dann zur Folge, dass man gegenüber anderen Gefahren nicht so offen war, wie es notwendig gewesen wäre. Und dass der thüringische Verfassungsschutz namentlich in der Zeit von 1990 bis nach 2000 von Rechtsextremisten unterwandert war, ist ja nun seit langem bekannt.

Was heißt das genau?

Das heißt konkret, dass unter den Verfassungsschutzmitarbeitern eine Reihe von Mitgliedern oder Sympathisanten der rechtsextremen Szene saßen, welche sich zwar durch bewährte Gegnerschaft gegen das DDR-Regime und seine Nachläufer auszeichneten. Aber auf der anderen Seite nicht dadurch, dass sie auch gegenüber Umtrieben von Rechts die notwendige Wachsamkeit aufkommen ließen.

Gab es dieses Problem in allen ostdeutschen Verfassungsschutzbehörden?

In Thüringen war der Fall ganz offensichtlich. Gerade der Thüringer Verfassungsschutz ist seit zehn Jahren dafür bekannt, dass er ganz besondere Schwierigkeiten hatte. Offenbar waren die noch größer als die anderer ostdeutscher Verfassungsschutzbehörden. Ich will nicht behaupten, dass das in allen ostdeutschen Ländern in gleicher Weise lief, aber das Problem stellte sich natürlich überall gleich.

Seite 2: Wie lässt sich die Arbeit des Verfassungsschutzes verbessern?

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger schlägt vor, die Zahl der Verfassungsschutzbehörden durch Zusammenlegung zu reduzieren. Würde das deren Arbeit verbessern?

In Deutschland wird in Sicherheitsdiskussionen gern nach dem Motto diskutiert: je zentralisierter die Behörde ist, desto besser. Auf der anderen Seite wird diese Idee durch die Fakten nicht gestützt. Es gibt gerade im Sicherheitsbereich die Notwendigkeit, dass man die Verhältnisse und Strukturen vor Ort kennt. Eine zentrale Behörde, etwa aus Köln, hätte größte  Schwierigkeiten in der thüringischen und sächsischen Provinz zu agieren, ohne dass das auffällt. Auf der anderen Seite hat sich aber gezeigt, dass in kleineren Bundesländern der Verfassungsschutz oft so schwach personell ausgestattet ist, dass er kaum in der Lage ist, das Kerngeschäft mit eigener Sachkompetenz wahrzunehmen. Man muss prüfen, ob es so etwas wie eine optimale Mindestgröße gibt.

Wie lässt sich die Zusammenarbeit der Behörden über die Ländergrenzen hinweg verbessern?

Es ist gerade ein Problem bei solchen Behörden, dass sie auf ihren Informationen sitzen und sie nicht weitergeben. Es stellt sich also die Frage, ob es nicht die Effektivität erhöhen würde, wenn alle Verfassungsschutzbehörden Zugriff auf alle Informationen haben. Dabei müssen aber datenschutzrechtliche Bestimmungen eingehalten werden. Verbessert werden muss aber vor allem auch die Kommunikation zwischen Verfassungsschutz- und Aufsichtsbehörden, also den Ministerien und parlamentarischen Kontrollgremien. Ihre Zahl ist relativ hoch, aber die von ihnen ausgehende Überwachungsintensität ist eher gering.

Sind V-Leute Teil oder Lösung des Rechtsextremismus-Problems?

V-Leute sind Menschen, die man aus einem bestimmten Milieu herauskauft, damit sie ihre Freunde verraten. Die Erwartung, dass solche V-Leute den Verfassungsschutzbehörden die Wahrheit sagen, ist sehr naiv. Gerade im rechtsextremen Bereich ist die Zahl der V-Leute sehr hoch aber die notwendigen Informationen scheinen nicht übermittelt zu werden. Man wird also gerade in diesem Bereich die Zahl der V-Leute gründlich überprüfen müssen. In bestimmten Situationen kann man aber gar nicht anders, als mit V-Leuten zu arbeiten, insbesondere wenn es sich um konspirative Gruppen handelt. Ich befürchte also, man wird nicht ganz auf sie verzichten können.

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