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Innenminister Hans-Peter Friedrich und der Präsident des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm (links).

© dapd

Verfassungsschutzbericht: Linke Chaoten schlagen immer häufiger zu

Politisch motivierte Gewalttaten fordern in Deutschland immer mehr Opfer. Die Bedrohung durch militante Islamisten schätzt der Verfassungsschutz aber als weitaus größer ein.

Von Frank Jansen

Linke Gewalt nimmt in Deutschland stark zu und fordert immer mehr Opfer. In den ersten fünf Monaten haben Autonome und andere Linksextremisten nach Informationen des Tagesspiegels bereits mindestens 610 Gewaltdelikte verübt. Dabei wurden 355 Menschen verletzt. Die Gesamtzahl aller linken Delikte wuchs auf knapp 3000. Die Angaben der Polizei finden sich in den Antworten der Bundesregierung auf monatliche Anfragen der Fraktionen von Union und FDP. Vermutlich werden die Zahlen noch steigen, da die Polizei in der Regel viele Delikte nachmeldet. Die Zunahme linker Kriminalität sei ein „Anlass zur Sorge“, sagte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Freitag in Berlin, wo er den Jahresbericht 2010 des Bundesamtes für Verfassungsschutz vorstellte.

Laut Friedrich liegt die Zahl der linken Straftaten bis Ende Mai bereits deutlich über den Werten der ersten fünf Monate des Vorjahres. Eine Vergleichszahl nannte der Minister nicht, nach Informationen des Tagesspiegels war die Zahl der linken Gewalttaten in den ersten drei Monaten bereits um fast 75 Prozent höher als im ersten Quartal des Jahres 2010. Bei den Verletzten meldete die Polizei sogar einen Anstieg um 86 Prozent. Bei den von Januar bis März begangenen linken Straftaten insgesamt wurde eine Zunahme um 53 Prozent registriert.

Im Jahr 2010 hatte linke Kriminalität gegenüber dem Vorjahr deutlich abgenommen (6898 Delikte nach 9375). „Das war leider nicht eine erfreuliche Wende“, sagte Friedrich. Seit 2005 sei vielmehr ein nahezu kontinuierlicher Trend nach oben zu beobachten. Den Minister beunruhigt vor allem die „erhöhte Gewaltbereitschaft gegenüber dem politischen Gegner“. In den vergangenen Tagen war in Berlin der Konflikt zwischen linken und rechten Extremisten eskaliert. Mutmaßliche Linksextremisten überfielen Funktionäre der NPD und der ultrarechten Partei „Pro Deutschland“. Im Gegenzug verübten Täter, die von der Polizei im rechten Spektrum vermutet werden, Brandanschläge auf linke Wohnprojekte. Schon im Mai hatte die Polizei bundesweit mit 182 linken Gewalttaten die bis dahin höchste Zahl solcher Straftaten in diesem Jahr festgestellt. 94 Attacken richteten sich gegen die Polizei, weitere 57 gegen Personen, die von Linken als rechtsextrem eingestuft wurden.

Neonazis verübten im Mai insgesamt 68 Gewalttaten, bei denen 61 Menschen Verletzungen erlitten. In 19 Fällen griffen Rechtsextremisten mutmaßliche Linke an, bei 13 Attacken ging es gegen Polizisten. Bundesweit zählten die Behörden im Mai 1094 rechte Straftaten. Auch hier ist noch ein Anstieg durch Nachmeldungen der Polizei zu erwarten.

Die Szene der gewaltbereiten Linksextremisten wuchs 2010 allerdings nur gering. Der Verfassungsschutz taxierte das Milieu, meist Autonome, auf 6800 Personen (2009: 6600). Insgesamt sind in der Bundesrepublik 32 200 (31 600) Linksextreme zugange. Am stärksten betroffen von linksextremen Gewalttaten, gemessen an der Zahl der Einwohner, waren Bremen, Sachsen und Berlin.

Das rechtsextreme Milieu bröckelt (2010: 25 000 nach 26 600), vor allem wegen des Siechtums der DVU. Der Verfassungsschutz zählte 5600 Neonazis, das sind 600 mehr als 2009. Die Gesamtzahl aller gewaltbereiten Rechtsextremisten liegt bei 9500. Bei rechten Delikten (16 375 nach 19 468) waren die neuen Länder, hochgerechnet auf die Einwohnerzahl, am stärksten belastet.

Militanter Islamismus als größtes Problem

Islamistische Extremisten bleiben eine kleine Minderheit in der Bundesrepublik, dennoch bereiten sie den Sicherheitsbehörden reichlich Sorgen. „Wir müssen weiter wachsam sein“, mahnte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Als erstes Extremistenspektrum nannte Friedrich die Islamisten, bei denen sich allerdings wie schon seit Jahren ein paradoxes Bild ergibt. Die Zahl der Straftaten ist erheblich geringer als bei linken und rechten Extremisten, dennoch steht der gewaltorientierte Islamismus in der Rangliste der Gefahren ganz oben. Der Grund ist so simpel wie gruselig: Keiner anderen Extremistenszene wird ein terroristisches Potenzial zugetraut, das mit dem der militanten Islamisten vergleichbar wäre.

Das verdeutlicht schon eine Zahl aus diesem Jahr. Im März starben am Frankfurter Flughafen bei dem Anschlag des Kosovo-Albaners Arid U. zwei US-Soldaten. Es sind in diesem Jahr laut Polizei die bislang einzigen Todesopfer extremistischer Gewalt in Deutschland, obwohl die Zahl der brachialen Angriffe linker und rechter Extremisten täglich wächst. Linke oder rechte Terrorgefahren sehen Verfassungsschützer allerdings nicht.

Wie viele Männer und Frauen der islamistischen Terrorszene zuzurechnen sind, bleibt offen. „Zu den in Deutschland in internationale dschihadistische Netzwerke eingebundenen Personen liegen keine gesicherten Zahlen vor“, heißt es im Jahresbericht. Allerdings ist schon seit einiger Zeit bekannt, dass der Verfassungsschutz das Spektrum der in Teilen terrornahen Salafisten, einer ultrastrengen Strömung im Islamismus, auf 2500 Personen schätzt. „Gestützt auf das Internet missbrauchen Salafisten die Begeisterungsfähigkeit von Jugendlichen“, warnte der Minister und verwies auf Arid U. Er wurde mit 21 Jahren zum Attentäter, radikalisiert durch salafistische Propaganda im World Wide Web.

Die Mehrzahl der Salafisten in Deutschland agiere jedoch nicht gewalttätig, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm. Aber auch die rein „politischen Salafisten“ verträten eine extremistische Ideologie, die „in diametralem Gegensatz“ zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehe. „Wir haben es mit einer ausgesprochen problematischen Entwicklung zu tun“, sagte Fromm. Fast alle Terrorverdächtigen aus Deutschland seien Salafisten oder hätten zumindest Kontakt zu Salafisten unterhalten.

Das „Islamismuspotenzial“ (ohne Dschihadisten) in der Bundesrepublik beziffert der Verfassungsschutz auf 37 470 Personen. Das sind 1200 mehr als im Jahr 2009. Gewachsen ist da vor allem der türkische Verein Milli Görüs (2010: 30 000 Anhänger, 2009: 29 000). Das „Mitgliederpotenzial“ ausländischer Extremisten in Deutschland jenseits des Islamismus umfasst 24 910 Personen (2009: 24 710). Größte Gruppierung bleibt die mit einem Betätigungsverbot belegte „Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)“ mit unverändert 11 500 Anhängern. Es folgt mit 7000 Anhängern die rechtsnationalistische „Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.“, auch bekannt als „Graue Wölfe“.

Der Präsident des Bundesamtes ging auch auf die Diskussion um antisemitische Tendenzen in der Linkspartei ein. Es gebe für den Verfassungsschutz „derzeit keine Veranlassung, die Einschätzung der Gesamtpartei zu modifizieren“, sagte Fromm. Der Verfassungsschutz bescheinigt der Linkspartei ein „ambivalentes Erscheinungsbild“ und erwähnt „zahlreiche Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen“, doch Antisemitismus spielt im Jahresbericht keine Rolle. Fromm warnte allerdings, sollte es in der Partei Stimmen geben, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, müsste das Bundesamt „Bestrebungen gegen den Gedanken der Völkerverständigung“ melden. Er könne jedoch „im Moment nicht erkennen“, dass Einzeläußerungen mit antisemitischer Tendenz der Gesamtpartei zuzurechnen wären.

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