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Auch unter den drei Millionen Türkischstämmigen in Deutschland hat Erdogan viele Anhänger - wie hier in Köln.

© REUTERS

Verhältnis zur Türkei: Einige EU ist wirksamer als deutsche Alleingänge

Deutschland muss sich jede Intervention in der Türkei sehr gut überlegen. Nur die EU sollte versuchen, Einfluss zu nehmen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hans Monath

Er ist der höchste Repräsentant der deutschen Regierung, der seit dem Militärputsch und dem seither andauernden Gegenputsch die Türkei besucht: Außenminister Frank-Walter Steinmeier will am Dienstag in Ankara Gespräche mit Regierung und Zivilgesellschaft führen. Es wird es ein heikler Besuch.

Seine Gastgebern sind hoch allergisch gegen deutsche Ratschläge und sehr entschieden. Als Reaktion auf den Putsch des Militärs spulen Recep Tayyip Erdogan und seine AKP seit Juli ein furchterregendes Programm ab, das sich frontal gegen Demokratie und Rechtsstaat richtet. Zehntausende von Richtern, Polizisten und Militärs wurden entlassen oder eingesperrt, Tausende Akademiker von Universitäten verwiesen. Mit dem Überfall auf die Zeitung "Cumhuriyet" und der Verhaftung von Oppositionsabgeordneten beseitigt die Türkei die Meinungsfreiheit, wischt die Rechte frei gewählter Volksvertreter beiseite und provoziert Gewalt von kurdischer Seite. Erdogan kündigt die Wiedereinführung der Todesstrafe an und stellt Grenzen infrage, weil er von der Wiederherstellung des Osmanischen Großreiches träumt.

Unter allen Nato-Partnern der Türkei hat Deutschland eine einzigartige Stellung. Nach einem halben Jahrhundert Migrationsgeschichte leben heute rund drei Millionen Türkischstämmige in der Bundesrepublik. Sie bilden einen leicht in Schwingung zu bringenden Resonanzraum, so dass jede außenpolitische Entscheidung zur Türkei immer auch eine Entscheidung über den gesellschaftlichen Frieden hierzulande bedeutet.

Auch deshalb hat sich die Bundesregierung lange an einer deeskalierenden Rhetorik versucht, die manche als Selbstverleugnung kritisieren. Die Resolution des Bundestages zum Genozid an den Armeniern hatte aber leider gezeigt, dass die besten deutschen Absichten nicht die (damals noch in Ansätzen erkennbare) türkische Versöhnungsbereitschaft stärkten, sondern von Ankara mit einer Eskalation beantwortet wurde, deren Dynamik von Berlin aus kaum mehr einzufangen war.

Deutschland alleine hält keinen Hebel in der Hand

Die Vorschläge der deutschen Opposition zum Umgang mit dem Partner helfen nicht weiter. Wer das Flüchtlingsabkommen der EU mit Ankara kündigt, schadet drei Millionen Syrern in der Türkei mehr als der türkischen Regierung – ganz zu schweigen vom Interesse der EU an der Begrenzung von Zuwanderung. Ebensowenig empfehlenswert ist ein Abzug der deutschen Soldaten vom Luftwaffenstützpunkt Incirlik. Ihr Einsatz gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) ist keine Gefälligkeit für Erdogan, sondern dient deutschem Interesse.

Jede deutsche Intervention muss deshalb nüchtern darauf getestet werden, ob sie die Verteidigung der Demokratie wirklich voranbringt. Sinnvoll ist der Ausbau des Dialogs mit der türkischen Zivilgesellschaft und die Unterstützung der gegängelten Opposition, wie sie alle Fraktionen des Bundestags nun mit der Übernahme von Patenschaften für verfolgte Kollegen leisten. Denn Deutschland alleine hält keinen Hebel in der Hand, den man nur drücken muss, damit Erdogan sich um eine Fördermitgliedschaft bei Amnesty International bewirbt.

Gerade weil die Bindung zur Türkei so eng ist, fällt vielen Deutschen die Einsicht schwer, dass ihr Land womöglich überfordert ist mit dem Versuch, die Demokratie in Kleinasien zu retten. Da der neue US-Präsident sich nicht als Vorkämpfer der Freiheit in anderen Ländern empfohlen hat, kann nur die EU versuchen, Einfluss zu nehmen. Eine geschlossene Haltung der Europäer ist jedenfalls wirksamer als deutsche Alleingänge.

Ohnehin hat der nun fast zum Stillstand gekommene Prozess der Annäherung der Türkei an die EU eine paradoxe Folge gehabt. Unermüdlich drängte die Gemeinschaft den Bewerber dazu, die Sonderstellung des Militärs in der Verfassung zu schleifen – und schließlich hatte sie Erfolg. Von heute aus gesehen aber wirkt es, als habe die EU die Macht des letzten Garanten jenes kemalistischen Staates gebrochen, dessen Reste Erdogan gerade beseitigt.

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