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13.11.2011: Mahnwache für die von Rechradikalen ermordeten türkischen und griechischen Geschäftsleute am Brandenburger Tor.

© Imago

Statistik zu Todesopfern: Verharmloste der Westen rechte Gewalt?

628 versuchte und vollendete Tötungsdelikte in Deutschland werden noch einmal auf einen möglichen rechten Hintergrund der Taten untersucht. Doch nur 43 der Fälle kommen aus Ostdeutschland, obwohl die Polizei dort seit Jahren mehr rechte Gewalt registriert. Das wirft Fragen auf.

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Die Bundesregierung lieferte eine umfangreiche Antwort zur Überprüfung der umstrittenen Statistiken der Polizei zu Todesopfern rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung, doch diese ruft neue Fragen hervor. Denn von den 628 versuchten und vollendeten Tötungsdelikten, die nun nochmal auf einen möglichen rechten Hintergrund der Taten untersucht werden, sind nur 43 aus den ostdeutschen Bundesländern - und das obwohl die Polizei dort seit 1991 regelmäßig einen überproportional hohen Anteil rechter Gewalttaten registriert. Angesichts dieser überraschend geringen Zahlen einiger ostdeutscher Länder zu rechten Tötungsdelikten sei zu befürchten, „dass hier immer noch versucht wird, das Problem zu verharmlosen“, sagte die Linken-Abgeordnete Martina Renner dem Tagesspiegel. Renner und ihre Fraktion hatten die Regierung zu Tötungsdelikten seit der Wiedervereinigung mit einem möglichen rechtsextremen und rassistischen Hintergrund befragt.

Die Zahlen sind das vorläufige Ergebnis einer Recherche der vom Bundesinnenministerium initiierten „Arbeitsgruppe Fallanalyse“. Sie hatte nach dem NSU-Schock mehr als 3300 Tötungsdelikte untersucht, bei denen die Täter nicht ermittelt werden konnten, aber der Verdacht auf ein rechtes Motiv nicht auszuschließen ist. Die 3300 Fälle hatten die Länder genannt. Die AG Fallanalyse filterte insgesamt 628 Delikte mit einem möglichen rechten Hintergrund heraus, die nun die Polizei in den Ländern detailliert prüfen soll.

In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Martina Renner stellte sich heraus, dass Sachsen und Thüringen mit nur je zwei Fällen sowie Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg mit jeweils fünf dabei sind. Brandenburg prüft allerdings schon auf eigene Initiative in einem aufwändigen Forschungsprojekt mehr als 30 Tötungsverbrechen aus dem eigenen Land. Renner ist nun vor allem „besorgt  über die niedrigen Zahlen aus Mecklenburg-Vorpommern,  Thüringen und Sachsen“.

In der Antwort der Bundesregierung fällt zudem auf, dass Sachsen-Anhalt mit 26 Fällen aufgelistet wird – das ist mehr als bei den anderen vier neuen Ländern zusammen anfällt. Die Polizei hat aber in Sachsen-Anhalt nie eine überdimensional höhere Belastung mit rechter Gewalt als in Ostdeutschland üblich festgestellt.

Erschreckend ist für Renner allerdings auch, dass in den westdeutschen Ländern deutlich mehr Fälle von Tötungsverbrechen mit einem möglichen rechten Tatmotiv anfallen als erwartet. Die Antwort der Bundesregierung mache deutlich, dass im Westen der mörderischen Dimension rechter und rassistischer Gewalt „bislang offensichtlich viel zu wenig Beachtung geschenkt wurde“.

Das Bundesinnenministerium äußerte sich auf Anfrage nur knapp zu den ungleichen Zahlen zwischen West- und Ostdeutschland. Die „Vorauswahl der Fälle“, also der ursprünglich 3300 Delikte, die der AG Fallanalyse geliefert worden waren, sei „in eigener Verantwortung der Länder“ erfolgt. Dem Bund stehe es daher nicht zu, „das Meldeverhalten der Länder“ und „etwaige Fallverteilungen“ zu kommentieren. Renner fordert nun von der Regierung, dass sie den Anteil jedes Landes bei den 3300 Tötungsdelikten nennt.

Eine Dokumentation des Tagesspiegels und der "Zeit" mit einer interaktiven Grafik findet sich hier.

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