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Politik: Verhüllt euch!

Foto: Rückeis / Montage: DP HINTER DEN LINDEN Das Thermometer. Die Zivilisation.

Von Hans Monath

Foto: Rückeis / Montage: DP

HINTER DEN LINDEN

Das Thermometer. Die Zivilisation. Zwei Begriffe. Ein Zusammenhang. Warum vernachlässigt ihn der politische Journalismus? Wenn die Temperaturen steigen, benehmen sich die Menschen anders. Viel wurde vergangene Woche etwa bei den Grünen darüber geredet, dass Ex-Parteichef Fritz Kuhn im rot-weißen „Muscle-T-Shirt“ zu wichtigen Sitzungen erschien. Zu Deutsch: Der Abgeordnete trug ein ärmelloses Sport-Leibchen. Lange hielten in Grünen-Frauen-Kreisen die Debatten darüber an, ob die sportlichen, wiewohl ungebräunten Politiker-Arme Kuhns einen ästhetischen Anblick böten. Das allein zeigt: In der Politik ist noch die Ausnahme, was im wirklichen Leben endemische Ausmaße angenommen hat. Wo eben noch eine Regel war, ist jetzt nur noch bloße Haut. Die Metropole stöhnt und schwitzt. Die ganze Leiblichkeit wird gerade noch gebändigt durch Mini-Tops, Shorts und Strandlatschen. In Bus und U-Bahn drängen sich Menschen zu Gottfried-Benn’schen Bildern zusammen: Pickelrücken grüßt violettes Adergeflecht, von Synthetik-Hose ungebremster Ballonbauch kommt über Schiefzehe zu stehen, Schweißnacken dampft gegen Orangenhaut an. Halt den Atem an, Fahrgast, schließ die Augen! Erstaunlich, dass trotz der vielen Tattoo-Studios noch so viele unbegabte Hobby-Tätowierer die Nadel ansetzen dürfen. Nur weg hier, flüchten wir aus den Waggons und Bussen hinein in die kalte, unleibliche Sphäre des parlamentarischen Betriebs, wo sogar echte Grünen-Parteichefs im Dreiteiler erscheinen. Hört uns, ihr Politiker: Offenbart eure Steuerpläne, aber verhüllt eure Körper! Einer muss es ja mal sagen: Danke, Deutscher Bundestag, dass du so zugeknöpft bist.

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