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Politik: Verschleppt und vergessen

Auch deutsche Zwangsarbeiter fordern eine Entschädigung

Von Christian Böhme

An ihren 19. Geburtstag erinnert sich Hildegard Rauschenbach nur sehr ungern. Denn zum Feiern war der jungen Frau am 15. März 1945 wahrlich nicht zumute. Eine Woche zuvor hatten russische Soldaten den westpreußischen Ort Karthaus besetzt. Dorthin war die geborene Ostpreußin vor den sowjetischen Truppen geflohen. Jetzt hatten sie ihre Familie eingeholt. Und es kam noch schlimmer. Am 29. März 1945 wurde Hildegard Rauschenbach verschleppt. Dreieinhalb Jahre musste sie dann in Schadrinsk (Ural) Zwangsarbeit leisten. Jeden Tag be- und entlud sie unter menschenunwürdigen Bedingungen LKWs, schleppte Benzinfässer, Zementsäcke und Bleibarren. Nachts schlief sie im Barackenlager 6437, immer hungrig.

Ihr Schicksal teilt die heute 76-Jährige mit vielen anderen. Hunderttausende Deutsche waren nach Kriegsende für Monate oder Jahre Zwangsarbeiter. Die einen schufteten in Pommern, Schlesien, den Oder-Neiße-Gebieten und Südosteuropa. Andere wurden in den Ural oder nach Sibirien gebracht und dort geschunden. Eine Entschädigung für ihr Leid haben die meisten nicht bekommen. Das muss sich nach Ansicht des „Arbeitskreises Deutscher Zwangsarbeiter“ (AKDZ) ändern. Am Mittwoch zogen Vertreter des AKDZ in landsmannschaftlicher Tracht zum Kanzleramt und übergaben eine Resolution. Der Tenor: Wir werden benachteiligt.

Der Arbeitskreis (dem neun Landsmannschaften und der Bund der Stalinistisch Verfolgten angehören) beklagt zum einen das Fehlen einer „würdigen Debatte“ über das Leid der Deutschen. Zum anderen wird mit Blick auf die ausländischen NS-Zwangsarbeiter eine „doppelte Gerechtigkeitslücke“ moniert: Die Deutschen müssten durch die Ausfallzeiten beträchtliche Rentenminderungen hinnehmen. Zudem erhielten sie keine Entschädigung wie NS-Opfer. In der DDR seien Zwangsarbeiter, die aus Russland zurückkamen, sogar als Straftäter behandelt worden.

Nun fordert der Arbeitskreis dreierlei: Eine Entschädigung in Form einer humanitären Geste, bilaterale Gespräche der Bundesregierung mit den für die Zwangsarbeit verantwortlichen Staaten über moralische Verantwortung und eine Ergänzung der Altersversorgung durch eine monatliche Opferrente. Dass die jetzige Regierung oder die nächste auf solches Drängen eingeht, ist aber eher unwahrscheinlich. Bisher verwiesen die Verantwortlichen zumeist darauf, dass das damals erlittene Unrecht seine Wurzeln ja im verbrecherischen NS-Staat hatte. Das stellt auch der Arbeitskreis Deutscher Zwangsarbeiter nicht in Frage. Es sei aber für viele ein „Stich ins Herz“, dass über ihr Schicksal nicht geredet werde, sagt Rudi Pawelka von der Landsmannschaft Schlesien. Auch das hat Hildegard Rauschenbach mit den anderen Opfern gemeinsam.

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