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Politik: Versuch, nicht über Fußball zu reden Von Harald Martenstein

Ich habe gedacht: Auf der Welt kann es doch nicht nur Fußball geben sowie das Thema „Deutscher Patriotismus“. Da muss doch noch anderes vorgehen, da draußen.

Ich habe gedacht: Auf der Welt kann es doch nicht nur Fußball geben sowie das Thema „Deutscher Patriotismus“. Da muss doch noch anderes vorgehen, da draußen.

In Frankreich, in Vilhonneur, nahe bei der Stadt Angouleme, wurde im Februar eine Höhlenzeichnung entdeckt, die 27 000 Jahre alt ist. Es handelt sich um das drittälteste bisher bekannte Kunstwerk, und es sieht so ungewöhnlich aus, dass die Forscher zuerst misstrauisch waren, was seine Echtheit betrifft. Erst vor ein paar Wochen gingen sie an die Öffentlichkeit. Das Bild zeigt, schwarz-weiß, ein menschliches Gesicht, abstrakt, der Stil erinnert einige Betrachter an Modigliani, andere an Picasso. In jener Zeit teilten die Menschen die Erde mit Mammuts und Säbelzahntigern, Schrift gab es nicht. In der britischen Zeitung „Guardian“ heißt es, dass die Höhle von Vilhonneur das Selbstbild der Menschheit verändern könnte. Unsere Vorfahren malten menschliche Gesichter und Tiere in verschiedenen Stilen. Sie suchten nach ihrem Ich, von Anfang an. Bisher glaubte man, dass individuelle, sozusagen moderne Porträts dieser Art erst während der Renaissance erfunden wurden und dass dies mit dem Aufstieg des westlichen Individualismus zusammenhinge.

In den USA läuft, unabhängig davon, eine Debatte zum Thema Kreativität, die von einem Essay des Politologen Richard Florida ausgelöst wurde. Bisher hieß es oft, dass wir uns von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft entwickeln. Falsch, schreibt Florida. Seit Jahren entstehen die bei weitem meisten neuen Jobs im kreativen Sektor, zwanzig Millionen neue Stellen seit 1980, allein in den USA. Sie sind, im Gegensatz zu den meisten Dienstleistungen, sogar relativ gut bezahlt. Wir reden hier von Medien, Kultur, Wissenschaft, Erziehung, Musik- und Filmindustrie, Software, Design, Unterhaltung und Spielen aller Art. Die Drei- Klassen-Gesellschaft der Zukunft bestehe aus einem kleinen Restproletariat, das produziert, aus schlecht bezahlten Dienstleistern, die bedienen, reparieren und putzen, und aus den Kreativen. Gehirne sind der wichtigste Rohstoff, das zeichnet sich ab. Sieger bei WM der Weltwirtschaft wird im 21. Jahrhundert ein Land sein, das seine Talente am besten fördert, ein Land, das Talente von anderswo anlockt.

Erstaunlicherweise funktioniert die Welt ähnlich wie der Fußball. Kreativität siegt über Malochertum, meistens jedenfalls. Und wer besonders gut spielt, wird reich, nicht nur in Brasilien.

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