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Richtungweisend. Recep Tayyip Erdogan wünscht sich von Angela Merkel Unterstützung. Die Kanzlerin aber hielt sich mit Zusagen zurück. Foto: Thomas Peter/dapd

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Erdogan in Berlin: Versuchter Doppelpass

Bei der Feierstunde zu 50 Jahren Anwerbeabkommen zeigt sich: Das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland ist angespannt. Nur der Fußball eint.

Mal leicht nach vorne gelehnt, die Hände im Schoß, mal zurückgelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt. Entspannt sah es nicht aus, wie Recep Tayyip Erdogan am Mittwochvormittag auf seinem Stuhl im Auswärtigen Amt saß. Zum Festakt anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei war Erdogan gemeinsam mit seiner Frau Emine angereist – und die Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel, der er so aufmerksam zuhörte, ließ wohl einige seiner Fragen und Sorgen unkommentiert.

Man gehöre zusammen, hatte Erdogan in seiner Ansprache zuvor betont, auf Deutsch gar: „Wir gehören zusammen.“ Bevor er dann ganz deutlich machte, dass aus 50 Jahren gemeinsamer Geschichte nicht nur Verbindlichkeiten für eine Seite entstehen sollten. Integration schön und gut, doch fordere diese auch Deutsche heraus. „Die Deutschen müssen Angebote machen“, sagte er. Angebote und Unterstützung wünscht sich Erdogan allerdings auch auf anderer Ebene. Unterstützung etwa, wenn es darum geht, die Türkei in die Europäische Union aufzunehmen; Hilfe im Kampf gegen Anhänger der kurdischen PKK, von denen inzwischen viele auch in Deutschland leben.

Letzteres versprach Angela Merkel recht gern, über eine mögliche Aufnahme der Türkei in die EU allerdings verlor sie kein Wort. Lieber griff sie Erdogans Anmerkungen auf, die Türken seien mittlerweile „ein unverzichtbarer Teil der deutschen Gesellschaft“, in der sie als Künstler, Sportler, Intellektuelle stark vertreten seien. „Wir müssen endlich verstehen, dass Vielfalt auch Bereicherung sein kann“, sagte Merkel. Und so schien in heiterer Bemühtheit der größte gemeinsame Nenner zwischen den beiden Politikern die Freude über Tore des türkischstämmigen deutschen Nationalspielers Mesut Özil zu sein. Das Verhältnis von Merkel und Erdogan jedenfalls wirkte so angespannt wie die Sitzposition des türkischen Ministerpräsidenten.

Verwunderlich ist das aber nicht, denn es gibt seit einer ganzen Weile einige Ursachen für Streit zwischen der deutschen und türkischen Regierung – die Diskussion um einen möglichen EU-Beitritt der Türkei ist nur eine davon. Zudem hatte Erdogan, nur einen Tag vor dem Festakt, eine Rede in Berlin gehalten, die stark an seine berühmt-berüchtigte Rede vor drei Jahren in Köln erinnerte.

Am Dienstagabend sagte Erdogan, die Europäer seien mitschuldig am Terror der kurdischen PKK und am Tod unschuldiger Zivilisten. Er unterstrich erneut seine Forderung, dass die Türken in Deutschland zuallererst die türkische Sprache lernen müssten. Erdogan und sein Minister für die Auslandstürken, Bekir Bozdag, behaupteten, der Deutsch-Test für türkische Zuwanderer sei eine „Menschenrechtsverletzung“. Ein Vorwurf, den er in abgemildertet Version auch im Auswärtigen Amt wiederholte. Assimilation sei eine Menschenrechtsverletzung, sagte Erdogan.

Auf den Titelseiten türkischer Zeitungen waren Erdogans Vorwürfe an die Europäer in Sachen PKK am Mittwoch eines der Hauptthemen. Die Europäer seien ebenso für den Terror verantwortlich wie die PKK selbst, wurden die Berliner Äußerungen des Regierungschefs in der „Hürriyet“ zusammengefasst.

Die Vorwürfe sind nicht neu. Sie werden aber von Erdogan und anderen Spitzenpolitikern angesichts der jüngsten Eskalation im Kurdenkonflikt und insbesondere seit dem Tod von 24 Soldaten bei einem PKK-Angriff vor zwei Wochen wieder verstärkt in die Öffentlichkeit getragen. Erdogan selbst hatte Anfang Oktober deutschen Institutionen vorgehalten, Gelder an die PKK zu schleusen.

In seiner Berliner Rede nahm Erdogan jetzt auch die europäischen Regierungen ins Visier. Wer vor den Aktivitäten der PKK die Augen verschließe, der habe schwangere Frauen und andere Zivilisten auf dem Gewissen, die bei Terroranschlägen ums Leben kämen, sagte er. Damit spielte er auf die Finanzquellen der PKK in Deutschland an, wo die Rebellen bei Kurden über Schutzgeld und Spenden viel Geld für den bewaffneten Kampf gegen Ankara sammeln. Auch sitzen wichtige PKK-Medien wie der aus Dänemark sendende Satellitensender Roj-TV in der EU, obwohl die PKK in Europa als Terrororganisation eingestuft ist. Die Türkei sieht darin Beweise für eine Toleranz und womöglich eine klammheimliche Sympathie der Europäer für die Kurdenrebellen. Ankara lege den Partnern in Europa konkrete Daten über Personen und Vereine mit PKK-Verbindungen vor, doch es kämen immer nur „Ausflüchte“, sagte Erdogan. Von europäischer Seite hieß es, man brauche rechtsstaatlich einwandfreie Beweismittel, um gegen PKK-Umtriebe vorgehen zu können.

Nach einem Gespräch im Kanzleramt am Mittwochmittag wiederholte Merkel ihre Zusage, die Türkei bei der Bekämpfung des Terrors zu unterstützen. Auch einem möglichen türkischen EU-Beitritt gegenüber zeigte sich Merkel nach dem Gespräch nicht völlig ablehnend. Sie betonte aber wieder, dass die Voraussetzungen stimmen müssten. Eine doppelte Staatsbürgerschaft für in Deutschland lebende Türken hingegen unterstütze sie nach wie vor nicht.

Ankara läuft auch Sturm gegen die deutschen Visa-Schranken für Türken. Die Kritik von Erdogan und Auslandstürken-Minister Bozdag an der Deutsch-Prüfung für Zuwanderer ist ein Beispiel dafür, dass sich die Türkei in dieser Frage diskriminiert fühlt: Bürger anderer Staaten hätten bei Reisen nach Deutschland längst nicht so viele Hürden zu überwinden.

Nur zum Teil basieren die türkischen Beschwerden auf tatsächlichen Kursänderungen der deutschen Regierung: Als Gegnerin eines türkischen EU-Beitritts hat Merkel die von ihrem Vorgänger Gerhard Schröder betriebene aktive deutsche Unterstützung für die Türkei in der EU beendet. Nach Ansicht westlicher Diplomaten wird Erdogan in seiner Kritik an Berlin vielfach von innenpolitischen Motiven getrieben. In der PKK-Frage etwa sei Deutschland zu einer Art Sündenbock dafür geworden, dass die türkische Regierung kein Rezept gegen die Rebellen finde. Erdogans Hinweis auf das angeblich böse Ausland kommt zumindest in einem Teil der türkischen Öffentlichkeit an.

Die Frage ist, ob und wie sich Erdogans jüngste Kritik an Deutschland auswirken wird. Selbst nach dem beträchtlichen Krach um Erdogans Kölner Rede und der Warnung vor einer „Assimilierung“ der Türken ging die bilaterale Zusammenarbeit ohne größere Einbrüche weiter. Deutschland ist und bleibt für die Türkei der wichtigste Verbündete und Handelspartner in der EU.

So endete auch der Festakt im Auswärtigen Amt etwas entspannter – in einer großen deutsch-türkischen Gesprächsrunde, die zeigte: Trotz aller möglicher Differenzen bleibt es wohl stets das Beste, sich auszutauschen, auch gemeinsam zu lachen und sich zu freuen. Und sei es nur über die Tore von Mesut Özil.

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