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Politik: Vertauschte Rollen in Den Haag

Erstmals müssen sich Bosnier für Kriegsverbrechen verantworten

Die Szenen gleichen sich: Auf der Anklagebank sitzen Serben, und die Opfer, meist Bosnier oder Kosovo-Albaner, seltener Kroaten, sagen als Zeugen aus. Doch im Gerichtssaal Nr. 2 des Haager Jugoslawien-Tribunals steht seit kurzem die Welt Kopf. Fast unbeachtet von der Öffentlichkeit hat der erste Prozess gegen zwei hohe bosnische Militärs begonnen, denen Kriegsverbrechen an der serbischen und kroatischen Zivilbevölkerung vorgeworfen werden.

General Enver Hadzihasanovic, zeitweise Stabschef der Armee Bosnien-Herzegowinas und Armir Kubura, Stabschef der Berg-Brigade der bosnischen Armee, sollen zugelassen haben, dass ihre Einheiten 1993 und 1994 bei einer Gegenoffensive gegen kroatische Verbände in der Region Travnik, Zenica und Kakanj 200 kroatische und serbische Zivilisten ermordet und viele weitere gefangen gehalten und gefoltert hatten. Dörfer wurden zerstört, ohne dass es dafür eine militärische Rechtfertigung gegeben habe, heißt es in der Anklageschrift.

Dass der Prozess, der im Dezember begonnen hat, nur wenig Aufmerksamkeit erregte, mag auch daran liegen, dass die Angeklagten keine großen politischen Reden halten, sondern extrem kooperativ sind. Die Anklage gegen sie lag bereits im Sommer 2001 vor, wurde damals aber noch geheim gehalten. Zwei Tage nach ihrer Veröffentlichung stellten sich die Angeklagten freiwillig und erhielten dafür Haftverschonung bis zum Prozessbeginn. Auch die Anklagen sind – verglichen mit anderen Prozessen – relativ milde: Es geht weder um Verbrechen gegen die Menschlichkeit noch um Völkermord. Beobachter vermuten, der Prozess solle auch ein Beweis für die Unabhängigkeit des Gerichts sein. So berichten nun serbische Gefangene aus der Region, wie sie von bosnischen Militärs geprügelt und verhört wurden, wie ihre Häuser zerstört und ihre Angehörigen verschleppt wurden. Die bisherigen Zeugenaussagen bestätigten, dass serbische und kroatische Einwohner der umkämpften Region von bosnischen Truppen misshandelt wurden. Weder Hadzihasanovic noch Kubura wird vorgeworfen, das befohlen zu haben oder selbst daran beteiligt gewesen zu sein. Nach humanitärem Völkerrecht genügt es aber, wenn die Offiziere davon wussten und es dennoch nicht verhinderten.

Klaus Bachmann[Den Haag]

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