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Politik: Viele halten Runde Tische auch heute noch für ein intelligentes Politikmodell - und die Praxis bestätigt sie

Als am 7. Dezember 1989 der Zentrale Runde Tisch der DDR erstmals tagte, saß für das Neue Forum ein Bürgerrechtler mit am Tisch, der später dafür den Begriff "Möbel des Übergangs" prägte: Werner Schulz.

Als am 7. Dezember 1989 der Zentrale Runde Tisch der DDR erstmals tagte, saß für das Neue Forum ein Bürgerrechtler mit am Tisch, der später dafür den Begriff "Möbel des Übergangs" prägte: Werner Schulz.

Wenn sich in diesen Tagen die Initiatoren gegenwärtig aktiver Runder Tische äußern, so ist eher von einem "Zukunftsmöbel" die Rede. Erhard Otto Müller beispielsweise aus dem "Forum Bürgerbewegung" im Berliner Haus der Demokratie sieht eine Tendenz, sich jenseits von machtorientierter Parteitaktik wieder gleichberechtigt zusammenzusetzen. "In der Rentenfrage bespielsweise wäre ein Runder Tisch der Parteien dringend notwendig", sagt er.

"Ein intelligentes Politikmodell, das wir uns angewöhnen müssen - oder untergehen", spitzt der über das mecklenburgische Güstrow als Initiator und Moderator mehrerer Runder Tische bekanntgewordene Heiko Lietz zu. In der Beurteilung der zahlreichen Runden Tische der Wendezeit erntet Werner Schulz kaum Widerspruch. Mitwirkungschance für die politischen Gruppierungen des Aufbruchs, Ersatzfunktion in einem sich abzeichnenden Machtvakuum bis zur freien Wahl von Repräsentanten. Mit der vom Politologen Uwe Thaysen so betitelten "Vorschule der Demokratie" wollen sich viele weiterhin bürgerschaftlich Engagierte aber nicht abfinden. In thematischen Tischen sieht Ulrike Poppe, 1989 für "Demokratie Jetzt" am Runden Tisch, nach wie vor eine die Politik ergänzende Funktion.

Bei den zahlreichen lokal oder landesweit agierenden Tischen dominieren zwei Themen: Gewalt und Frauenpolitik. Vor allem nach den ausländerfeindlichen Übergriffen in Hoyerswerda 1991 entstanden aus spontaner Betroffenheit Gesprächsrunden. Der bis heute regelmäßig tagende landesweite Runde Tisch gegen Gewalt in Sachsen versucht seit Januar 1992 Antworten zu geben. Eine parallele Reaktion löste der DVU-Wahlerfolg 1997 in Sachsen-Anhalt aus. Die SPD-Landesregierung ließ ein Handlungskonzept "für ein demokratisches und weltoffenes Sachsen-Anhalt" erarbeiten. Auf dessen Basis agiert seit Sommer dieses Jahres ein Runder Tisch und ein Verein als Träger verschiedener Projekte und Kampagnen. Ein Privileg ostdeutscher Entwicklung bleibt der Runde Tisch dabei nicht: Nach dem Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge 1994 konstituierte sich in der Hansestadt ein Runder Tisch.

Frauenpolitische Runde Tische arbeiten neben Berlin auch in anderen ostdeutschen Städten. In Dresden entstand aus ihm das Sächsische Frauenforum, das 1995 wiederum einen landesweiten Runden Tisch "Frauen und Erwerbsarbeit" ins Leben rief. Arbeit, Stadtentwicklung, Verkehr, Abfallpolitik, Jugendliche und Kinder sind weitere klassische Themenfelder Runder Tische. Das jüngste landesweite Beispiel kommt aus Sachsen-Anhalt. Sozialministerin Gerlinde Kuppe (SPD) initiierte im Herbst einen Tisch zum Ladenschlußgesetz, um die Meinungsbildung der Regierung auf eine solidere Basis zu stellen. Aber auch für die Diskussion gesamtstaatlicher Probleme erscheint das Mittel als ein probates. Wer erinnert sich noch, dass sogar ein Kurt Biedenkopf 1992 im Vorfeld des Solidarpaktes einen "Runden Tisch für das Zusammenwachsen Deutschlands" forderte?

Mehrheitsentscheidungen demokratisch gewählter Vertreter machten Runde Tische eigentlich überflüssig, bekam das Sächsische Frauenforum anfangs von Vertretern der Staatsregierung zu hören. "Politisch nicht erwünscht" fühlte sich auch Pfarrer Peter Krüger, der in Cottbus den Tisch für Gewaltlosigkeit moderierte. Sachsens Landtagspräsident Erich Iltgen, der 1990 den Sächsischen Runden Tisch moderierte, widerspricht: Er sieht eine Ergänzung der Parlamentsarbeit im "vorpolitischen Raum".

Michael Bartsch

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