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Politik: Vier Sieger und ein neues Spiel

NACH DEM TV-DUELL

Von Bernd Ulrich

Es kommt nicht oft vor, dass aus einem Duell vier Sieger hervorgehen. Der erste Sieger im Kampf-Talk zwischen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber heißt: das Fernsehen. 15 Millionen Zuschauer haben zugesehen. Das entspricht einer Halbfinal-Begegnung bei einer Fußball-WM. Damit gelang es dem TV, einen neuartigen Wahlkampfhöhepunkt zu schaffen und sich alle anderen Medien zu unterwerfen. Von dieser „Amerikanisierung“ der deutschen Politik kann sich keiner abwenden.

Der zweite Sieger des Duells ist die Politik selbst. Denn die wird nicht wirklich amerikanisiert, jedenfalls nicht, wenn damit Verflachung gemeint ist. Sehr deutsch und ordentlich kam die Sendung daher, seriös, gründlich, öffentlich-rechtlich auch. Die nachher beklagte Enge des Korsetts hatte immerhin eine Konsequenz: Der Streit zwischen Kanzler und Kandidat verlief sachlich, ja, es wurde in einer Ausführlichkeit über Inhalte geredet, wie es sonst vor einem Publikum dieser Größe nicht vorkommt.

Der dritte Sieger heißt: Schröder. Auch wenn er merkwürdig zurückgenommen und zu gelassen wirkte, so war der Kanzler doch der erwartete Fernsehtyp. Je schneller das Tempo, je mehr Spontaneität, desto besser wirkte er. Wenn man denn schon zählen will, dann holte sich der Kanzler die meisten Punkte. Die Themen Frauen, Außenpolitik und Flut hat er gewonnen, Arbeitslosigkeit und Steuern nur knapp verloren. Am Ende der Sendung, auch die meisten Umfragen zeigten es, hatte Schröder die Nase vorn.

Eine Stunde später allerdings präsentierte sich plötzlich ein vierter Sieger: Stoiber. Wie konnte das geschehen, wo bei ihm doch so vieles auswendig gelernt wirkte. Wo er beim Thema Frauen so unübersehbar einbrach. Wo er seine Haltung zur Flut, sein Jetzt-dafür-eigentlich-dagegen, kaum vermitteln konnte. Natürlich hatte auch Stoiber seine starken Phasen, besonders beim Thema Steuern. Selbstverständlich fiel es ihm leicht, die Fehlleistungen und falschen Versprechungen von Rot-Grün anzuprangern. Doch zum späten Sieger wurde er nicht allein durch das, was in den 75 Minuten geschah, sondern eher durch die Interpretation, die anschließend auf allen Kanälen betrieben wurde.

Zu dieser Umwertung hat sicher beigetragen, dass die Erwartungen an Stoiber so niedrig waren. Hinzu kommt: Seit Monaten hat der angebliche Medien-Kanzler in der Öffentlichkeit einen schweren Stand. Schröder kann noch immer gut in den Medien, aber nicht mehr mit den Medien, weder mit „Bild“ noch mit „Glotze“.

Nach dem zwiespältigen ersten Duell möchte Schröder nun natürlich die Regeln ändern. Lockerer soll es zugehen, Schröder gemäßer. Und ebenso selbstverständlich lehnen die Stoiberisten das ab: Das zweite Duell soll genauso steif sein wie das erste und wie der Kandidat. Ein läppischer Streit um Formen? Nicht nur. Dahinter steckt eine fundamentale Differenz über die Natur moderner Politik.

Im Duell hat der Kanzler auf die Frage, warum die Hartz-Kommission so spät gekommen sei, geantwortet, im deutschen Interessendschungel könne man auch als Kanzler nur dann wirklich etwas ändern, wenn eine tiefe Krise einträte. Schröder meint, dass Politik im Kern Krisenpolitik sei, dass es also vor allem darauf ankomme, unter Stress autonom das Richtige zu entscheiden, er würde sagen: „anzupacken“. Insofern wäre ein Duell mit gelockerten Regeln, mit realitätsnahem Anarchismus, mit Raum für politische Inspiration das tauglichere Modell für das Spiel: Wer ist der bessere Kanzler?

Stoiber hingegen fürchtet nicht nur eine unübersichtliche Duell-Situation in zwei Wochen, sondern auch hektisch-chaotische Lagen nach dem 22. September. Er wünscht sich, dass man Politik strategisch machen kann, von A nach B mit Akten, Paragrafen, Argumenten. Und mit Zeit, alles zu wägen und zu ordnen. Ihm schwebt eine Politik vor, wie sie auch früher schon gemacht wurde. Wenn er doch Recht hätte!

Das jedoch ist die große Frage: Ist die Bundespolitik so chaotisch geworden, weil Schröder sich nicht für Grundlinien interessiert? Dann muss man auf einen Kanzler Stoiber hoffen. Oder ist Schröder ein Sponti–Kanzler, weil die Verhältnisse nichts anderes zulassen? Man sollte beim nächsten Duell die Regeln lockern. Dann werden sie realistischer.

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