zum Hauptinhalt

Volker Kauder: Armer Ritter

Er hat für die Atomkraft gekämpft und gewonnen. Doch als Volker Kauder von Fukushima hörte, wusste er, dass der Sieg keiner war. Prompt zog der Chef der Unionsfraktion in eine neue Schlacht – diesmal auch gegen sich selbst.

Von Robert Birnbaum

Volker Kauder winkelt kurz beide Arme an und ruckt sie nach vorne. Die Hemdmanschetten gucken nun korrekt aus den Ärmeln des Anzugs heraus, aber das ist gar nicht Zweck der Übung. Früher haben die Ritter das Helmvisier geschlossen, wenn es in den Kampf ging. Kauder hat sich einen Harnisch komplett aus Gesten zugelegt: Ärmelrucken, schneller Griff ans Revers, hoch über der Brust verschränkte Arme, wenn es ernst wird. Jetzt fehlt nur noch der Wappenspruch. Und richtig, Kauder fixiert sein Gegenüber streng durch die randlose Brille, in der sich die Sonne vor dem Konrad-Adenauer-Haus spiegelt. „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit!“ Der Satz stammt von dem Sozialdemokraten Kurt Schumacher. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion ist nun gewappnet für die Schlacht, unverdrossen, auch wenn er wohl ahnt, dass er wieder nicht siegen wird. Die Wirklichkeit ist nämlich meistens schneller.

Kauder, 61 Jahre alt, steht an diesem Montag nicht alleine da mit dem mulmigen Gefühl, dass manche Dinge nicht nach Plan laufen. Aber an keinem lässt sich so gut ablesen, was die Wirklichkeit mit der Union im Moment so alles anrichtet. Im Zwergstaat Bremen hat es am Sonntag eine Landtagswahl gegeben, was normalerweise der Erwähnung kaum wert wäre, wenn sie der CDU nicht eine bittere Premiere beschert hätte: Platz drei hinter den Grünen. Das ist doppelt bitter, weil insgeheim ja doch mancher gehofft hatte, dass sich an der Weser – allen traditionellen Schwierigkeiten der CDU in der Hansestadt zum Trotz – der neuerdings propagierte Anti-Atom-Kurs ein wenig auszahlen würde. Das Gegenteil ist passiert. „Das ist doch auch klar“, schimpft ein Abgeordneter aus Hessen. „Immer wenn wir ,Energiewende’ sagen, geht es bei den Grünen fünf Punkte rauf.“

Bis vor wenigen Wochen hätte Kauder das genau so formulieren können. Aber jetzt, wo die eigene Chefin dauernd „Energiewende“ sagt? Kauder diktiert einem Reporter ins Notizbuch, dass die CDU als Volkspartei „erledigt“ wäre, „wenn wir anfangen würden, den Grünen hinterherzulaufen“. Das klingt energisch: Bis hierher und nicht weiter. In Wahrheit ist es der Versuch, eine längst überrannte Schanze zu halten. Als ob der CDU im Moment anderes übrig bliebe, als der Anti-Atom-Partei hinterherzulaufen, um Jahrzehnte!

Kauder ärgert das umso mehr, als er sehr wesentlich Schuld an diesem Zustand trägt. Der Fraktionschef war die treibende Kraft hinter der Laufzeitverlängerung vor einem halben Jahr. Vor der Bundestagswahl schon hat er die Fraktion beschließen lassen, dass die Laufzeiten der Reaktoren „auf das betriebswirtschaftlich übliche Maß“ zu verlängern seien, zu Deutsch: Bis es nicht mehr geht. Im schwarz-gelben „Herbst der Entscheidungen“ hat er dann Umweltminister Norbert Röttgen in ein Gefecht um Jahreszahlen verwickelt, das er gewann.

Da war auch Persönliches im Spiel – Norbert Röttgen hat als Fraktionsgeschäftsführer einmal versucht, seinem Chef den Fraktionsvorsitz abzujagen, und zwar auf die ganz krumme Tour hinter dem Rücken. Krumme Touren mag Kauder nicht. Doch die Animosität war nur eine Randnote. In der Hauptsache hat sich Kauder damals etwas beweisen wollen, sich und allen, die vier Jahre lange den Frust über das aufgezwungene Bündnis mit der SPD auf ihn abgeladen hatten.

Er weiß ja, dass Gutmeinende ihn „den nettesten und einflusslosesten Fraktionsvorsitzenden, den wir je hatten“ nennen, und die Böswilligen „Muttis Liebling“. Einmal hat er, auch um vor sich selbst geradestehen zu können, die „Phase zwei“ ausgerufen. Das sollte so viel heißen wie: der Mann, der mitten in der Realpolitik trotzdem noch die konservativ-christdemokratischen Herzensanliegen bewahrt.

Man kann darüber streiten, ob die Flügelrolle für einen Fraktionschef der größten Regierungsfraktion überhaupt infrage kommt. Die Wirklichkeit der Opel-Krisen und Banken-Krisen und Euro-Krisen hat ihm nie eine Chance gelassen. Irgendwann hat ihm einer geraten: „Volker, du darfst nicht nur bellen, du musst auch mal beißen!“ Beißen, hat Kauder geantwortet, müsste er dann aber gegen Angela Merkel. „Dann hör auf zu bellen“, hat der andere gesagt.

Trotzdem hat sich Kauder beim Regierungswechsel dagegen entschieden, ins Kabinett zu wechseln. Aus Disziplin vielleicht und Treue, aber sicher auch, weil er an das schwarz-gelbe Traumbündnis geglaubt hat. Der Traum wurde Albtraum. Kauder hielt wenigstens das laufende Geschäft aufrecht. Doch im „Herbst der Entscheidungen“ schienen bessere Tage gekommen. Merkel hat damals ja selbst Gefallen an der Rolle der CDU-Kanzlerin gefunden, die sich für Stuttgart 21 ins Feld warf, gegen die Präimplantationsdiagnostik und für den Atomstrom. Kauder hat die Chance genutzt für die Atomrolle rückwärts. Er hat es in gutem Glauben auch für Baden-Württemberg getan, wo er herstammt und lange CDU-Generalsekretär war und wo er denkt, dass er die Leute kennt. Er hat deshalb mit dafür gesorgt, dass Stefan Mappus in Stuttgart Ministerpräsident wurde, ein Konservativer, der dem verehrten Erwin Teufel wenigstens entfernt ähnlich schien.

Am Freitag, dem 11. März, ist Volker Kauder im Auto auf dem Rückweg von einem Wahlkampftermin in Rheinland-Pfalz unterwegs. Er bekommt die Nachrichten mit vom Erdbeben in Japan, und er hört zum ersten Mal den Namen eines Ortes, in dem ein Atomunfall passiert ist: Fukushima. In dem Moment, sagt Kauder heute, sei ihm klar gewesen, dass es mit der Atomkraft in Deutschland vorbei war. Die Wirklichkeit hat sich zurückgemeldet, überraschend und brutal.

Für Kauder muss es ein böser Schlag gewesen sein. „Er war regelrecht erschüttert“, sagt einer, der ihn gut kennt. Erschüttert darüber, wie die Hightech-Nation Japan hilflos auf kochende Reaktorkessel starrt und erst eine deutsche Betonpumpe das kühlende Meerwasser an die richtige Stelle befördern kann – „Putzmeister“ heißt die Firma, ausgerechnet! Doppelt erschüttert über den Machtverlust der CDU in seinem Land, das sie beherrscht hatte, so lange jemand denken konnte. Dreifach erschüttert über die Erkenntnis, welche Mitverantwortung er daran trägt. Kauder hat davor übrigens nicht gekniffen wie andere, die hinterher wieder genauso schlau getan haben, wie sie es vorher nicht waren. Als Einziger von all den CDU-Spitzenleuten hat er kurz die Rüstung geöffnet und Reue gezeigt: Es sei ein „Fehler“ gewesen, im Herbst ein Rennen um die längsten Laufzeiten zu inszenieren und so aus einem Konzept für den Umstieg ein Atom-Revival zu machen.

Die grün angehauchten Schwarzen sind seither zufrieden mit ihm: Kauder sei „konstruktiv“ in der Atomwende. Die alten Verbündeten aus dem Herbst aber zerren an ihm. „Kauder steht!“, hat noch vor einiger Zeit einer von denen hoffnungsvoll versichert. Die alten Verbündeten sitzen jetzt in einer Koalitionsarbeitsgruppe unter Kauders Leitung beisammen, vorweg der Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs, genannt „der Atom-Fuchs“. Die Arbeitsgruppe wirkt gelegentlich wie ein talmivergoldeter Käfig zu dem Zweck, die Atomfüchse einzuhegen. Als CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt die Idee ausplauderte, man könne doch den Ausstieg mit einer „Revisionsklausel“ versehen, hat Kauder sie jedenfalls gleich gestoppt: keine Hintertüren! Glaubwürdig bleiben! Nicht noch mal den Fehler machen, als sture Atom-Partei zu erscheinen.

Und so könnte die Geschichte vom bekehrten Schwarzen Ritter Kauder eigentlich ein versöhnliches Ende finden, wenn da nicht dieser Sonntag von Bremen gewesen wäre. Ein sozialdemokratisches Nest ist das, sicher doch, vermutlich seit Störtebeckers Zeiten. Eine linke Unistadt mit Alternativtradition, gewiss. Aber dritter Platz für die CDU?

Irgendwann an diesem Wahlabend muss sich in der CDU-Führung ein nagender Verdacht eingeschlichen haben. Vielleicht, wispert der Verdacht, zahlt sich die Atomwende gar nicht aus? Vielleicht ist das bloß eine von diesen verspäteten Modernisierungen der Ära Merkel, die ohne Zweifel notwendig sind, die bloß trotzdem keine Wähler bringen?

Merkel wird am Tag danach sagen, dass sie die Energiewende jetzt schnell über die Bühne bringen will. Selbst der Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier, ein alter schwarz-grüner Weggefährte Röttgens, redet nicht mehr vom Erfolgsmodell, sondern vom schnellen Abräumen. Im Herbst, sagt Altmaier, habe man die Wechselwähler vergrault, jetzt die Stammwähler, aber die Wechselwähler noch nicht zurückgewonnen. Im „noch“ steckt der Rest Hoffnung.

Aber ausgerechnet Kauder hat die illusionsloseste Analyse geliefert: „Es muss das Lebensgefühl in den Städten wieder besser getroffen werden.“ Wenn das stimmt, hat seine Partei ein echtes Problem und er, der Konservative, ein doppeltes. Lebensgefühl ist das, was die CDU in der alten Republik an der Macht gehalten hat, weil sie die Mitte der Gesellschaft repräsentierte. Lebensgefühl war das, was einmal Willy Brandt an die Macht gebracht hat und was heute die Grünen in Richtung Volkspartei schiebt. Lebensgefühl ist der Sound der Zeit. Kauders Lieblingssound ist Freddie Mercury, Queen: „We are the champions.“

Ist man damit noch Champion? Wie wird das, wenn zum ersten Mal ein Grüner als Ministerpräsident im Bundesrat auftaucht, Winfried Kretschmann, der jetzt sein Baden-Württemberg regiert? Kauder murmelt etwas von „werden wir ja sehen“ und „wir bleiben im Bund die stärkste Kraft“. Dann ruckt er die Rüstung zurecht und sagt den Wappenspruch. „Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.“

Er wird das noch oft sagen müssen: wenn die Atomwende mit allen kontroversen Details Gesetz werden soll, wenn die Euro-Rettung ansteht, wenn, kurz gesagt, die Wirklichkeit wieder schneller war als das christdemokratische Lebensgefühl. Aber der Satz trägt diesem Umstand ja auf seine Weise Rechnung.

In der Betrachtung der Wirklichkeit ist die Kapitulation vor ihr allemal eingeschlossen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false