zum Hauptinhalt
Volker Perthes

© dpa

Volker Perthes: „Der Krieg wird die Hamas mittelfristig schwächen“

„Die Drohung des Einmarschs ist ernst gemeint.“ Der Politikberater Volker Perthes über die Haltung der Bundesregierung, Wege aus der Krise und die Rolle der Europäer.

Herr Perthes, Bundeskanzlerin Merkel hat der Hamas die alleinige Schuld für die Eskalation in Nahost gegeben. Besteht nicht die Gefahr, dass Israel derartige Äußerungen als Freibrief auslegt?

Ich glaube nicht, dass die Israelis sich daran orientieren, was die deutsche Bundeskanzlerin oder irgendein anderer europäischer Regierungschef sagt oder nicht. Sie werden vielmehr ihrer eigenen politischen Logik folgen. Im Übrigen ist die Bundeskanzlerin mit dem Urteil nicht ganz alleine. Denn tatsächlich muss man sagen, dass die Hamas ein ganzes Stück weit heraufbeschworen hat, was hier geschehen ist. Die israelische Regierung hat lange gedroht zurückzuschlagen, wenn der Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen nicht aufhört. Die Hamas hat diese Drohungen offensichtlich nicht ernst genommen. Oder sie hat sie ernst genommen und ist bereit gewesen, die Konsequenzen zu tragen – und wundert sich vermutlich nur darüber, wie hart die Reaktionen sind.

Es handelt sich immerhin um die größte Offensive seit dem Sechstagekrieg von 1967. Noch einmal: Sollte die Bundesregierung deshalb nicht deutlichere Worte an die Adresse der israelischen Regierung finden?

Ich glaube, die deutlichen Worte in Richtung Israel oder auch die deutlichen Worte in Richtung Hamas helfen zurzeit überhaupt nicht. Jetzt geht es darum, sich Gedanken darüber zu machen, wie man wieder aus der Krise herauskommt. Das heißt: Können wir den Ägyptern oder anderen helfen, einen Waffenstillstand zu vereinbaren? Können wir, wenn es einen solchen Waffenstillstand gibt, mit eigenen europäischen Beiträgen etwas dafür tun, dass es einen glaubhaften Friedensprozess gibt? Das sind die Fragen, die wichtig sind, wenn wir uns in Deutschland Fragen stellen wollen – und nicht so sehr die Frage, ob wir dem einen oder dem anderen die Schuld geben.

Nach den Worten von Israels Vizeregierungschef Haim Ramon ist das Ziel der Offensive der Sturz der Hamas. Ist ein Regierungswechsel im Gazastreifen mit militärischen Mitteln überhaupt machbar?

Solange Israel sich auf die Bombardierung beschränkt, wird es dieses Ziel nicht erreichen. Ein Einmarsch und eine Wiederbesetzung des Gazastreifens ist aus vielen richtigen Gründen nicht das, was Israel will. Insofern glaube ich, dass Haim Ramon sich hier täuscht, wenn er denkt, dass dieses Ziel – der Sturz der Hamas-Regierung – im Gazastreifen erreichbar wäre.

Ist die Drohung Israels, in den Gazastreifen einzumarschieren, ernst gemeint?

Ich glaube, es ist eine ernsthafte Drohung. Aber die israelischen Generäle hoffen selbst, dass sie sie nicht umsetzen müssen.

Ist es denkbar, dass die Hamas auf lange Sicht möglicherweise sogar gestärkt aus diesem Waffengang hervorgeht – weil die militärische Auseinandersetzung den Islamismus in der Region erneut stärken könnte?

Die Hamas wird zunächst versuchen, sich in die Märtyrerrolle zu begeben und vielleicht tatsächlich kurzfristig eine politische Stärkung als Ergebnis sehen. Mittelfristig haben natürlich auch die Bürger im Gazastreifen überhaupt kein Interesse an einer solchen Politik. Sie haben die Hamas ja 2006 nicht gewählt, um in den Krieg mit Israel zu ziehen. Sondern die Hamas ist gewählt worden, weil sie als weniger korrupt gilt als die Fatah. Und die Erwartung war eben nicht, dass man Krieg und Verheerung im Gazastreifen auf sich zieht. Mittelfristig wird ein solcher Krieg eher zur Schwächung der Hamas führen. Aber kurzfristig wird sich die Bevölkerung hinter diejenigen stellen, die faktisch regieren im Gazastreifen – und das ist nun einmal die Hamas. Das gehört zur Psychologie der Auseinandersetzungen im Nahen Osten.

Die Hamas wird ein politischer Faktor in der Region bleiben – egal wie lange die Offensive andauert?

Natürlich bleibt die Hamas ein politischer Faktor, sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland. Es ist ganz wichtig, dass man sich jetzt schon darüber Gedanken macht, wie die Hamas mittelfristig in eine wiedervereinigte palästinensische Autorität integriert werden kann. Eines der Probleme, welches wir jetzt sozusagen explodieren sehen, besteht darin, dass die palästinensische Autorität zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland gespalten ist.

Welche Rolle sollte die EU spielen?

Die EU wird sich vermutlich auf das konzentrieren müssen, was nach einem Waffenstillstand liegt – nämlich auch in Abstimmung mit der neuen amerikanischen Regierung unter Barack Obama dafür zu sorgen, dass man eine neue Qualität von Friedensprozess auf den Weg bringt – wo es wirklich um die sogenannten Endstatus-Fragen geht. Die Form von Friedensprozess, den wir bislang – auch unter dem Namen „Annapolis-Friedensprozess“ – gesehen haben, wird nicht zum Erfolg führen.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

Volker Perthes (50)

ist seit 2005 Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Zuvor leitete er an der SWP die Forschungsgruppe Naher Osten und Afrika.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false