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Politik: Vom Befreier zum Besatzer

Die Mission der Schutztruppe in Afghanistan wird schwieriger – weil das Misstrauen der Menschen wächst

Bei einem Luftangriff der US-geführten Truppen in Afghanistan auf Stellungen der Taliban in der Provinz Kandahar wurden am Montag 60 Kämpfer getötet. Auch mindestens 35 Zivilisten kamen dabei ums Leben. Ein Augenzeuge sprach gegenüber Nachrichtenagenturen sogar von bis zu 60 zivilen Opfern. Seit vergangenem Mittwoch wurden bei Anschlägen und Kämpfen schon weit mehr als 100 Menschen getötet. Inzwischen erreichte die Angriffswelle sogar die Hauptstadt Kabul, wo es in den letzten Monaten relativ ruhig war.

Die Nato fürchtet jetzt, die Taliban könnten die Bevölkerung mit verstärkten Angriffen zum Widerstand ermuntern. Dieser aber könnte schnell zum Aufstand gegen die „ausländischen Okkupanten“ eskalieren. Eben dieser Begriff fällt in Afghanistan immer häufiger, wenn von der militärischen Präsenz der internationalen Anti-Terror-Koalition die Rede ist. Und das umso mehr, als die Nato gegenwärtig tausende Soldaten im Süden Afghanistans stationiert – dort, wo sich in der vergangenen Woche die Kämpfe konzentrierten.

Mit der Verlagerung will die Allianz insbesondere die USA entlasten, die im Irak zunehmend in Bedrängnis geraten. Die von der Nato geführte Schutztruppe Isaf soll allmählich jene Aufgaben übernehmen, die bisher den Anti-Terror-Einheiten zufielen – gegenwärtig rund 18 000 Mann, der größte Teil davon US-Soldaten. Zwangsläufig werden die Isaf-Soldaten – darunter rund 4500 Angehörige der Bundeswehr – dadurch direktes Angriffsziel der Taliban und ihrer Verbündeten. Die Islamisten haben ihre Kontingente mit frischen Kräften aufgefüllt. So stießen hunderte Glaubensbrüder aus den Nachbarstaaten zu ihnen, vor allem aus den Ex-Sowjetrepubliken Zentralasiens, wo ihre Netzwerke verboten sind und auf Rückkehrer der Henker wartet.

Sobald indes die Isaf die Aufgaben der Anti-Terror-Einheiten übernimmt, gehen auch die Ressentiments der Bevölkerung gegen die Bush-Truppen eins zu eins auf die Blauhelme über. Den US-Soldaten lasten viele Afghanen nicht nur die Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung bei Präzisionsschlägen gegen das Terrornetzwerk von Taliban und Al Qaida an. Durch mangelnde Sensibilität gegenüber ihrem Gastland und dessen tief islamisch geprägter Gesellschaft sieht die Mehrheit der Einheimischen in Washingtons Soldaten unwillkommene Missionare einer fremden Werteordnung und Machtstützen einer fragwürdig legitimierten Marionettenregierung. An diesen Befindlichkeiten scheiterte schon die „zivilisatorische Mission“ der Sowjets, die Ende 1979 einmarschiert waren. Ironie des Schicksals: Bei einfachen Afghanen kommen die Rotarmisten inzwischen oft besser weg als die Bush-Armee.

Erschwerend wirkt sich für die Isaf und ihr neues Aufgabengebiet zudem aus, dass die Machtfrage in Afghanistan nach wie vor nicht geklärt ist. Außerhalb des Großraums Kabul hat die Zentralregierung nur sehr bedingt die Macht, in manchen Südprovinzen überhaupt nicht. Dazu kommt, dass der Kompromiss, auf den die internationale Gemeinschaft rivalisierende Ethnien und religiöse Gruppen unter US-Führung 2001 einschwor, offenkundig nicht tragfähig ist. In der Konfrontation zwischen dem von der Opposition dominierten Parlament und Präsident Hamid Karsai nach einer Regierungsumbildung Ende März sind die Fronten eines neuen Bürgerkriegs schon erkennbar.

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