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Eine Zeltstadt für Flüchtlinge, die als vorübergehende Asylnotunterkunft auf einem Areal in Dresden errichtet wurde.

© Arno Burgi/dpa

Debatte um Flüchtlinge und Zuwanderung: Vom Mythos der schnellen Lösungen

Die Zahl der Asylsuchenden steigt – und viele rufen nach schnellen Problemlösungen, ständig gibt es neue Vorschläge. Was sind die häufigsten Irrtümer in der Flüchtlingsdebatte?

Täglich werden neue Vorschläge gemacht, wie dem wachsenden Zustrom von Asylsuchenden begegnet werden kann. Die meisten zielen darauf, Menschen davon abzuhalten, nach Deutschland zu kommen. Kann das funktionieren? Und ist Deutschland tatsächlich überfordert, wenn 2015 wie vorausgesagt mehr als 400.000 Asylbewerber kommen? Mythen und Wahrheiten zur Asyldebatte.

Der Zustrom von Migranten lässt sich durch entschlossene Politik aufhalten.

Die USA befestigen ihre Südgrenze nach Mexiko immer weiter – und dennoch überqueren diese Jahr für Jahr mehrere hunderttausend Mittel- und Südamerikaner illegal. Europa umgibt sich für Hunderte von Millionen Euro mit „smart borders“ wie dem Grenzüberwachungssystem Eurosur und baut Grenzzäune – doch das Ergebnis bleibt immer gleich: Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, ausreichend entschlossen sind, ihre Heimat zu verlassen, machen sich auf den Weg. Alle Abwehr erhöht lediglich ihr Risiko, die Flucht nicht zu überleben.

Neben denen, die kommen, weil sie sich ein besseres Leben oder den Ausweg aus einem elenden versprechen – Motiv zum Beispiel der europäischen Massenauswanderung nach Amerika im 19. und 20. Jahrhundert – oder weil Kriege sie zur Flucht zwingen. Beispiel Syrien: Seit 2011 bis Juli 2015 sind etwa 121.000 syrische Staatsangehörige nach Deutschland gekommen. In den fünf Jahren davor waren es insgesamt nur 4327. Dazwischen gab es keine Anreize, höhere Sozialleistungen für sie oder sonst bessere Bedingungen in Deutschland, sondern schlicht dramatisch schlechtere in ihrer Heimat: In Syrien herrscht seit 2011 Krieg. Und die nach oben schnellende Kurve der Asylanträge von Menschen aus Syrien spiegelt nichts anderes als die stetig verzweifeltere Lage dort.

Wenn Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden, lässt sich der Asylmissbrauch eindämmen.

Fast 100 Prozent aller Asylanträge von Antragstellern aus den westlichen Balkanstaaten werden negativ beschieden. Deshalb wird diskutiert, wie der Zustrom von Menschen aus dieser Region gestoppt werden kann. Politiker der CSU, aber auch der Hamburger SPD-Bürgermeister Olaf Scholz fordern, das Kosovo, Albanien und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina gelten bereits seit November 2014 als solche.

Das Beispiel Serbien zeigt jedoch, dass die Einstufung kaum Menschen davon abhält, nach Deutschland zu kommen. So beantragten nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge 2014 insgesamt rund 17.200 Serben Asyl in Deutschland, in den ersten sechs Monaten 2015, nachdem das Land zum sicheren Herkunftsstaat erklärt worden war, kamen bereits etwa 10.100 Serben nach Deutschland.

Auch die geforderte Wiedereinführung der Visumspflicht für Serbien dürfte kaum etwas ändern. Das zeigt der Fall des Kosovo. Obwohl für das Land nach wie vor eine Visumspflicht gilt, stieg die Zahl der Asylbewerber von dort Anfang 2015 sprunghaft an. Allein im März stellten 11.150 Kosovaren einen Asylantrag in Deutschland. Inzwischen ist die Zahl aber auf rund 1400 Anträge im Monat zurückgegangen. Erreicht wurde dies nicht durch formale Einreisebeschränkungen, sondern durch eine Informationskampagne im Kosovo über das Asylrecht in Deutschland.

Wenn Schleuserbanden das Handwerk gelegt wird, sterben keine Flüchtlinge mehr.

Die Europäische Union hat den Schleusern in Nordafrika zwar den Kampf angesagt, doch es ist höchst fraglich, ob sie tatsächlich gegen die kriminellen Banden vorgehen wird. De Erfolgsaussichten sind ohnehin gering. Die Schleuser operieren nicht ohne Grund vor allem im Bürgerkriegsland Libyen, wo Interventionen höchst gefährlich wären.

Schleuser sind außerdem flexibel und können ihre Basen in kurzer Zeit an andere Küstenabschnitte verlegen. Und die Bootsbauer, die im Hinterland einfache Gummiplanen zusammenkleben, ziehen gleich mit. Die Flüchtlinge werden sich ebenfalls schnell anpassen. Fluchtrouten werden heute per Facebook kommuniziert. Das Geschäft folgt schlicht dem Prinzip: Wo es eine Nachfrage gibt, entsteht auch ein Angebot. Sprich: Solange Menschen nach Europa wollen, wird es Schlepper geben.

Investitionen in den Herkunftsländern halten die Menschen in ihrer Heimat.

Seit ihrem Bestehen leistet die Bundesrepublik Entwicklungshilfe in aller Welt. Angesichts der vielen Flüchtlinge aus afrikanischen Staaten und der Menschen, die von Afrika kommend im Mittelmeer ertrinken, soll die Entwicklungszusammenarbeit weiter verstärkt werden. Wenn der Wohlstand wächst, bleiben die Menschen dort, wo sie sind, so die Kalkulation. Tatsächlich ist es in den vergangenen Jahrzehnten nur in wenigen Fällen gelungen, Staaten durch Entwicklungshilfe aus der Armut zu holen. Denn Korruption, aber auch unfaire Handelsbedingungen hemmen die wirtschaftliche Entwicklung.

In einer Studie, die das Entwicklungszentrum der OECD vor ein paar Jahren veröffentlichte, verwiesen die Forscher auf den Faktor Zeit. Damit Entwicklungshilfe die Bedingungen verbessere, brauche es sehr viel davon – zu viel für ein Menschenleben. Dann zögen die Leute lieber fort. Dass Entwicklungshilfe Migrationsströme begrenze, sei eine „falsche Hoffnung“. Es seien eben auch oft nicht die Ärmsten der Armen, die es in den globalen Norden schafften. Umgekehrt aber fungierten Migranten als Entwicklungshelfer ihrer Heimatregionen – durch Geld, das sie verdienten und nach Hause überwiesen, ebenso wie durch die Fähigkeiten und Kontakte, die sie im Aufnahmeland bekämen. Die OECD empfahl seinerzeit den reichen Ländern, Migranten das Pendeln zu erlauben, damit der Kontakt zur Heimat nicht abreiße.

Deutschland kann nicht alle Schutzbedürftigen dieser Welt aufnehmen.

Das stimmt vermutlich, aber die Frage stellt sich nicht. Tatsächlich schafft es immer nur ein verschwindend kleiner Teil von Flüchtlingen, die Heimat zu verlassen. Auch hier bietet sich das Beispiel Syrien an: Derzeit sind etwa sechs Millionen Menschen dort auf der Flucht. Von ihnen wiederum gilt ein Drittel als Binnenvertriebene, sie sind im Land geblieben. Von den vier Millionen, die ins Ausland geflohen sind, blieb der Löwenanteil in den Anrainerstaaten, in Jordanien, der Türkei oder dem Libanon. Lediglich 310 000 Syrer schafften es nach Europa, also nicht einmal ein Fünftel.

Weiter südlich haben die Menschen noch weniger Mittel, den gefährlichen Weg nach Norden auf sich zu nehmen und sind gezwungen zu bleiben. Überhaupt gilt: Die sich aufmachen, sind meist die physisch – oder auch sozial und kulturell – stärkeren und meist jüngere Menschen. Es sind also gerade nicht die wirklich Elenden, die nach Norden kommen.

Vor allem die Migranten vom Balkan sind eine Belastung für das Sozialsystem.

Manches ist schon paradox. Da überlegen Politiker, wie Asylbewerber vom Balkan möglichst schnell wieder abgeschoben werden können, weil ihre Anträge offensichtlich unbegründet sind, und gleichzeitig versuchen etwa Arbeitsvermittlungen, für deutsche Krankenhäuser Ärzte und Krankenpfleger aus der Region nach Deutschland zu holen. Sie scheitern dabei allerdings häufig an den deutschen Einreisebestimmungen.

Angesichts der „hohen Nachfrage“ auf dem deutschen Arbeitsmarkt empfiehlt auch das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), Zuwanderer vom Balkan aus der Asylfalle herauszuholen und ihnen stattdessen eine Arbeitsvermittlung anzubieten. „Kriterium sollte eine Einschätzung des nachhaltigen Erfolgs der Arbeitsmarktintegration sein“, heißt es in einer Studie.

So viele Fremde können in Deutschland gar nicht integriert werden.

Wer Krieg oder Not entkommen ist, ist meist besonders motiviert, seine Chance zu nutzen – wie gut der Neuanfang von Flüchtlingen funktioniert, hängt daher wesentlich vom Aufnahmeland ab. Die Neuankömmlinge brauchen rasch Sprachkurse, wenn nötig ärztliche Hilfe, ein Dach überm Kopf, Kontakt zu Einheimischen und auf den Arbeitsmarkt, damit sie bald auf eigenen Füßen stehen. Auch wenn in diesem Jahr die Rekordmarke von Anfang der 1990er Jahre – 438.000 Asylbewerber – erreicht oder überholt wird: Damals waren ihre Chancen auf Integration wegen noch viel restriktiverer Gesetze, besonders der Arbeitsverbote, deutlich weniger gut. Und die Bundesrepublik hatte damals noch die deutsche Einheit zu schultern.

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