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Politik: Von der Besuchertribüne auf den Chefsessel

Bayerns Landtag wählt Seehofer mit 104 von 184 Stimmen zum Ministerpräsidenten – und der muss die Debatte von oben verfolgen

Am frühen Morgen ist Horst Seehofer in Berlin vom Bundespräsidenten verabschiedet worden. Nun steht er – eine halbe Stunde vor Beginn der Fraktionssitzung – im Hof des Münchner Maximilianeums. Nach dem notorisch zu spät kommenden Edmund Stoiber hatten sich die Landtagsabgeordneten der CSU an einen pünktlichen Ministerpräsidenten Günther Beckstein gewöhnt. Ein überpünktlicher Chef in spe jedoch braucht auch von ihrer Seite aus noch Eingewöhnung.

Seehofer reibt ein paar Mal die Hände. „Tja“, sagt er, „wo ist meine Family?“ Da erscheinen schon, wie gerufen, Frau Karin sowie die beiden Kinder Susanne und Andreas. Später sitzt das Kleeblatt hoch oben auf der Besuchertribüne im Bayerischen Landtag, in Begleitung des vormaligen Landtagspräsidenten Alois Glück. „Pass gut auf die drei auf“, sagt Seehofer zu ihm, „die sind hohe Ansprüche gewöhnt.“ Glück ist ein schlechter Schauspieler, also weiß er nicht recht, wo er hinschauen soll in diesem Moment.

Auch Seehofer verfolgt die Debatte von der Tribüne aus. Er sitzt auf diesem Präsentierteller, weil er vorerst noch keinen Platz auf der Regierungsbank hat – und gewählt und abstimmungsberechtigt ist er in Bayern ja nicht. Alle Abgeordneten, die nun sprechen, müssen also notgedrungen zum Bundesminister a. D. hinaufschauen.

Den Fraktionschef der SPD, Franz Maget, stört das gar nicht. Während einer kleinen Zitaten- und Pointenschau reibt er, wie man in Bayern sagt, Seehofer und den Seinen noch einmal alles hin, was sich in den vergangenen vier Wochen nach der Landtagswahl an Widersprüchlichkeiten aufgestaut hat. Später wird ihn der neue Regierende ermahnen, demnächst „beim Diskurs mehr Würde“ walten zu lassen. Dabei hatte Maget nur mit den Worten von Fraktionschef Georg Schmid, der bis vor zwei Wochen noch selber Ministerpräsident werden wollte, von Thomas Goppel sowie von einstmals heftigen Seehofer-Gegnern wie Ludwig Spaenle oder Erwin Huber gesprochen. Und immer wieder auch Seehofer selbst zitiert, der sich noch vor 14 Tagen in Berlin sah und – so sieht es Maget – nun als „Reservekandidat von der Besuchertribüne“ nach dem höchsten Amt im Freistaat greift.

Während die CSU-Fraktion sich schamvoll oder hoch erregt im Sitz krümmt, schmunzeln Seehofer und Familie Magets Sottisen ebenso weg wie die Referate von Hubert Aiwanger (Freie Wähler) und Sepp Daxenberger (Grüne). Schließlich wird der 59-jährige Ingolstädter Horst Lorenz Seehofer mit den Stimmen von CSU und FDP zum Ministerpräsidenten gewählt. Er erhält 104 von 184 abgegebenen Stimmen. 71 Abgeordnete votieren mit Nein, zwei Stimmen sind ungültig. Zusammen hätten FDP und CSU 108 Stimmen gehabt. Und gemäß seinem schon beim CSU-Parteitag ausgegebenen Motto, dass man zwar leben und leben lassen müsse, aber auch mehr zuhören als reden, sichert Seehofer der Opposition im Landtag fairen Umgang zu. Im Vordergrund, sagt er, müsse das „Ringen um die richtige Lösung stehen“. Der Spitzenmann der FDP, Martin Zeil, porträtiert Seehofer entsprechend als Harun al Rashid, der nachts verkleidet durch die Stadt gehe, um die Sorgen und Nöte der Menschen zu studieren. Man hört: Es geht jetzt etwas origineller zu im Bayerischen Landtag.

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