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Politik: Von Engeln und Schokolade

Eine Feier zum 15. Jahr des Mauerfalls – Brandenburgs Regierungschef erklärt Helmut Kohl den Osten

Das hier ist die ultimative Gegenveranstaltung zum MontagsdemoGeist der Straße. Alles ist neu, die ganze Axel-Springer-Passage. Und dort, wo vor fünfzehn Jahren nichts als Mauer und Grenzposten waren, liegt jetzt ein roter Teppich. Vierhundert Gäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft laufen darüber – hinein in die neuen Redaktionsräume der „Super Illu“. Sie alle eint der Glaube an den „Aufschwung Ost“, von Berufs wegen und überhaupt. „Aufschwung Ost“ heißt die erst im Sommer gegründete Initiative, denn der Osten ist viel zu wichtig, um ihn dem Pessimismus zu überlassen. Der Abend heißt: „15 Jahre Mauerfall: Stolz auf das Erreichte“. Ein wenig trotzig klingt das schon.

Angela Merkel lässt sich ohne Widerspruch ein knallrotes Erkennungsarmband umbinden. Sie geht vorbei an vielen runden Tischen mit Erzeugnissen von „Halloren-Kugeln", Mecklenburger Kartoffelpüree und drei Erzgebirger handgeschnitzten Engeln. Einer der späteren Redner wird von „Kathi“-Tortenmehl sein. Die reinste Nahrungsmittel-Landwirtschaftsmesse. Ein wenig verdächtig ist dieses massive Revival des Ost-Geschmacks schon. Sonst nichts?

Den Kontrast bilden Porsche Leipzig oder VW Dresden. Ex-Politbüro-Mitglied Günter Schabowski erklärt mit Kennermiene zwei Herren im schwarzen Anzug die Welt, das heißt an diesem Abend: den Osten, das unbekannte Wesen. Matthias Platzeck, Hauptredner des Abends, steckt noch im Stau. Irgendwo hinter dem Marktplatz von Luckenwalde. Aber er kommt mit Blaulicht. Helmut Kohl in der ersten Reihe vernimmt es mit ungerührter Kohl-Miene. Luckenwalde? Blaulicht? Es muss vieles anders geworden sein in Deutschland. Angela Merkel geht schon wieder.

Dafür spricht jetzt Professor Dr. Hubert Burda und sieht dabei immer Helmut Kohl an. Er vergleicht ihn mit Bismarck. Burda gehört auch zum Aufschwung Ost, denn die „Super-Illu", eine Art neues Zentralorgan des Ostens (2,77 Millionen Leser jede Woche!), war auch seine Idee. Burda nennt sie immer „Supper-Illu“. Er glaubte 1990 einfach nicht, dass die Ex-DDR-Illustrierten noch eine Zukunft haben könnten. Schon, weil es die schon in der DDR gab. Die Vertreter von „Kathi“-Tortenmehl und anderen Ostprodukten schauen etwas befremdet. Eigentlich gibt es sie doch vor allem immer noch, weil es sie früher auch schon gab. Schabowski sitzt skeptisch in der vorletzten Reihe. Wer will ihm erklären, wie man eine Zeitung macht? Er war nicht nur Chefredakteur des „Neuen Deutschlands“, sondern auch Chef der provinzhessischen Rotenburger „Heimatnachrichten“. Und deren einziger Redakteur zugleich.

Plötzlich ist Matthias Platzeck doch da und macht das einzig Richtige. Er spricht scheinbar klein. Von sich selber und wie im 1989 nach Budapest fuhr, nur um den 1. Mai-Feiern in der DDR zu entgehen. Und die Ungarn hatten plötzlich drei 1.-Mai-Demonstrationen. Platzeck berichtet vom Aufgang einer neuen Zeit, einer neuen Welt. Das Ex-Bundeskanzler-Gesicht wird ganz durchlässig. Wer von den 400 Gästen in der Berliner Zimmer-Straße nach Platzecks Rede den Osten noch immer nicht begriffen hat, wird ihn nicht mehr begreifen.

Dann wird Helmut Kohl nach vorne treten und in dem ruhigen Bewusstsein seiner historischen Leistung sprechen. Auch Bismarck war später ziemlich relativ. Aber immer noch Bismarck. Und irgendwie hat Kohl recht. Denn selbst seine ärgsten Kritiker im Osten haben irgendwie immer geglaubt, dass er es ehrlich gemeint hatte mit den „blühenden Landschaften“.

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