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Politik: Von Königs Gnaden

Von Andrea Nüsse, Riad Im saudischen Schura-Rat liefern sich Modernisierer und Traditionalisten wieder einmal ein heftiges Rededuell. Als Abdul Aziz bin Ali al-Rabiah das Wort ergreift, wird er gleich dreimal überlebensgroß abgebildet: Riesige Bildschirme in dem runden Prunksaal zeigen den Mann mit der dicken Brille, dem grauen Bart und dem weißen Kuffiye auf dem Kopf.

Von Andrea Nüsse, Riad

Im saudischen Schura-Rat liefern sich Modernisierer und Traditionalisten wieder einmal ein heftiges Rededuell. Als Abdul Aziz bin Ali al-Rabiah das Wort ergreift, wird er gleich dreimal überlebensgroß abgebildet: Riesige Bildschirme in dem runden Prunksaal zeigen den Mann mit der dicken Brille, dem grauen Bart und dem weißen Kuffiye auf dem Kopf. Ruhig trägt das konservative Mitglied des Schura-Rates, der Versammlung, welche die saudische Regierung berät, seine Bedenken gegen ein neues Leasing-Gesetz vor. „Wie kann ich für ein Auto verantwortlich sein, das mir gar nicht gehört?“, fragt der Professor für Islamisches Recht in die Runde. Den Begriff des „Mietkaufs“ kennt die Scharia nicht. Auch von einer Einkommenssteuer wollen die Anhänger der Geistlichkeit nichts wissen. Der Islam kenne nur die Zakat, die Almosenabgabe, die 2,5 Prozent des Einkommens betrage. Doch die Modernisierer unter den 120 Schura-Mitgliedern, insbesondere die Vertreter der Privatwirtschaft, drängen darauf, ausländische Investitionen zu erleichtern und die Ausländer zur Einkommenssteuer heranzuziehen, um die Löcher in der Staatskasse zu schließen. „Verschwenden wir nicht die Zeit mit Haarspaltereien, während das Land historische Herausforderungen zu bewältigen hat“, hält der in Cambridge promovierte Geschichtsprofessor Mohammed Al Zulfah den Zauderern entgegen.

In dem pompösen Kuppelsaal in Riad wird lebhaft und mit großem Ernst debattiert. Dabei wirkt der Raum eher wie ein repräsentativer Zeremonienraum: Türkisfarbene Säulen, goldene Stuckverzierungen und dunkelblaue Plüschsessel geben dem Saal eine orientalisch-kitschige Note. Nur die drei Riesenbildschirme und die in die Wandorntik integrierte Digitaluhr weisen drauf hin, dass die Errungenschaften der modernen Technik hier doch nicht unbekannt sind. Die Versammlungsräume und Empfangszimmer des palastartigen Gebäudes sind mit goldverzierten Sesseln und riesigen Lüstern ausgestattet, dicke Teppiche schlucken jeden Laut.

Möglicherweise soll damit zu heftige Kritik am Königshaus der al-Sauds, die das nach ihnen benannte Land regieren, gedämpft werden. Vielleicht sollen die hier versammelten Männer auch daran erinnert werden, dass sie von Königs Gnaden hier sind: Die Schura, 1992 in dieser modernen Form ins Leben gerufen, ist kein Parlament im westlichen Sinne. Die mittlerweile 120 Mitglieder werden nicht gewählt, sondern vom König für vier Jahre ernannt. Sie können nichts entscheiden, sondern haben nur beratende Funktion. Sie prüfen Gesetzesvorlagen der Regierung, machen Verbesserungsvorschläge oder setzen gar einen eigenen Gegenentwurf auf. Am Ende entscheidet der König, der auch Regierungschef ist, jedoch allein.

Die fundamentalen Unterschiede zu westlichen Parlamenten sind den Schura-Mitgliedern sehr wohl klar, dennoch verteidigen sie ihr System. Der Vorteil der Ernennung durch den König sei, dass Experten aus allen Berufen und allen Ecken des Landes vertreten sind, erklärt der Herzchirurg Yazid Ohaly, der in Schweden studiert hat. „Wären wir von der Bevölkerung gewählt, hatten wir nicht diese außerordentliche Mischung“, erklärt der 43-jährige Mediziner, der zum ersten Mal in der Schura sitzt. Beobachter bestätigen, dass Experten in das Gremium ernannt werden und hier niemand „versorgt“ wird. Bei Wahlen würden auch die beiden größten Stämme des Landes die Schura monopolisieren, fürchtet der Arzt, und kleinere Stämme überhaupt keine Stimme erhalten. Die Schura sei „wahrhaftig repräsentativ“, weil hier Vertreter aller gesellschaftlichen Gruppen, der Privatwirtschaft, der Regierung, des akademischen Lebens, der islamischen Institutionen beisammen säßen.

Die Hälfte der saudischen Bevölkerung, die insgesamt etwa 17 Millionen Menschen zählt, ist allerdings nicht vertreten: In der Versammlung sitzt keine einzige Frau. „Dafür ist die Gesellschaft noch nicht reif“, erklärt Ohaly fast entschuldigend, der zu den jüngeren Mitgliedern der Schura gehört. Wann wird sie denn reif sein? „Ich denke, meine Töchter werden das erleben“, sagt der Chirurg, dessen älteste Tochter neun Jahre alt ist. Derzeit werden Frauen zu bestimmten Debatten eingeladen, ergänzt der Kinderarzt Gady Magbool al-Ageely.

Die Ratsherren betonen, dass sie nicht nur Vorlagen der Regierung abnicken. Artikel 23 des Schura-Gesetzes schreibt vor, dass zehn Mitglieder der Versammlung einen Gesetzesvorschlag einbringen oder Veränderungen an bestehenden Gesetzen vorschlagen können. Besonders stolz ist die Schura auf das erste Umweltschutzgesetz des Landes, das auf Initiative der beratenden Versammlung erlassen wurde. Auch die Einführung einer Krankenversicherung gehe auf Initiativen der Schura-Mitglieder zurück. Die Außenpolitik allerdings gilt als die unantastbare Domäne des Königs und seiner Regierung.

Am Ende entscheidet zwar immer das Königshaus, doch die Auseinandersetzung mit den Ratsherren erzwingt eine offenere Debatte. Da die Schura auch die Jahresberichte der Ministerien überprüft und kritisiert, wächst zudem der Effizienzdruck auf die Verwaltung – auch wenn Traditionen und religiöse Vorschriften die Entwicklung immer wieder bremsen.

Die von der Regierung vorgeschlagene Einkommenssteuer hat die Schura dennoch passiert. Der Rat nickte einen Gesetzentwurf ab, der eine zehn-prozentige Einkommenssteuer für wohlhabende Ausländer vorsieht. Zwölf Millionen Dollar Steuereinnahmen erwartet der saudische Staat dadurch 2002. Angesichts dieser dringend benötigten Finanzspritze verhallten die Einwände der islamischen Rechtsgelehrten gegen die „unislamische“ Steuer ungehört.

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